Kaputte Tassen im Schrank
Notiert in Frankfurt
Kaputte Tassen im Schrank
Von Lutz Knappmann
Unser Alltag ist geprägt von Selbstverständlichkeiten, deren reibungsloses Funktionieren niemand in Zweifel ziehen würde. Etwa, dass bei Einbruch der Dunkelheit die Straßenbeleuchtung angeht. Dass der Supermarkt frische Milch vorrätig hat. Oder dass Gläser und Tassen, die in der Gastronomie serviert werden, auch für die jeweiligen kalten oder heißen Getränke geeignet sind. Störungen im Betriebsablauf sind in diesen Alltagssituationen schlicht nicht vorgesehen.
Dass sich der öffentliche Fern- und Nahverkehr aus dem Kanon der infrastrukturellen Selbstverständlichkeiten verabschiedet hat, ist spätestens seit der Fußball-EM auch über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. In Frankfurt aber geriet diese Woche auch die Gewissheit ins Wanken, dass Gästen in der Gastronomie nutzungsgerechte Trinkgefäße serviert werden. Was einen empfindlichen Riss in der vorweihnachtlichen Besinnlichkeits-Routine verursachte.
Am Montagnachmittag eröffnete der Weihnachtsmarkt auf dem Römerberg. Auch 2024 werden wieder mehr als zwei Millionen Besucher zwischen den Ständen umherwandeln und Glühwein und Kinderpunsch trinken. Eine kleine, vergnügliche Flucht aus dem von schlechten Nachrichten nur so überschwemmten Alltag. Exakt eine Stunde vor Beginn der Eröffnungsfeier aber wurde der Veranstalter seinerseits mit schlechten und vollkommen unvorhergesehenen Nachrichten vorstellig: Die Glühweintassen, eigens für den Weihnachtsmarkt 2024 designt und hergestellt, sind für den Ausschank des traditionsreichen Heißgetränks ungeeignet. Ungläubiges Kopfkratzen.
Tatsächlich, so die Erklärung, sind die Tassen nicht hitzebeständig, weil ein Produktionsfehler dazu führt, dass sie bei hohen Temperaturen springen oder zerbrechen können. Was für die Weihnachtsmarktbesucher die Gefahr birgt, sich am frischen Glühwein zu verbrühen. Bis zu 50.000 Tassen mussten wieder eingesammelt werden.
Nun haben die Betreiber der Glühweinstände ausreichend hitzeerprobte Vorjahresexemplare eingelagert, um eine reibungslose Versorgung der Besucher zu gewährleisten. Und passionierte Glühweintassensammler werden es wohl verschmerzen, kein Exemplar des Jahrgangs 2024 in ihren Schrank einsortieren zu können. Doch die eigentliche Frage ist ja: Wieso fällt so etwas erst so spät auf?
Fehler passieren, das ist menschlich. Weshalb es wichtig ist, nicht aus jeder Kleinigkeit eine große Sache zu machen. Aber es gibt eben auch Fehler, deren Folgen zwar überschaubar sind, die aber auf das diffuse Gefühl einzahlen, dass Qualitätsbewusstsein und Sorgfalt nicht mehr genügen, um Selbstverständlichkeiten sicherzustellen. Ein Gefühl von schleichendem Rückschritt, das – zu Recht oder zu Unrecht – den gesellschaftlichen und politischen Diskurs hierzulande prägt.
Immerhin: Meldungen über tatsächliche Verbrennungen, die auf die mangelhaften Tassen zurückzuführen wären, sind nicht überliefert.