Leitartikel15 Jahre Lehman-Schock

Kein Grund zur Entwarnung

15 Jahre nach der Finanzkrise haben die Banken noch immer Baustellen. Nur manche davon sind neu.

Kein Grund zur Entwarnung

Finanzstabilität

Kein Grund zur Entwarnung

15 Jahre nach dem Lehman-Schock haben die Banken noch immer Baustellen. Nur manche davon sind neu.

Von Anna Sleegers

Angesichts des von der Bürgerbewegung Finanzwende errichteten überdimensionalen Geldstapel vor dem Goethe-Denkmal im Frankfurter Bankenviertel mag sich mancher auf dem Weg zum Mittagstisch mit wohligem Schauer an damals erinnert haben. 15 Jahre ist es her, dass die US-Regierung an der Investmentbank Lehman Brothers ein Exempel statuieren wollte, das die Weltwirtschaft um ein Haar in den Abgrund gerissen hätte.

Die Folgen des Experiments sprengten alle Erwartungen. Der abstrakte Begriff des Systemrisikos füllte sich mit Leben. Und wie: Obwohl die volkswirtschaftliche Bedeutung des Instituts überschaubar war, breiteten sich die Schockwellen in sagenhafter Geschwindigkeit über den Globus aus. Binnen weniger Stunden kollabierten die Märkte, Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister sahen sich wie die Regierungsvertreter anderer Länder genötigt, vor die Kamera zu treten und die Spareinlagen als sicher zu deklarieren. Selbst in den Geschäftsstellen der Sparkassen und Volksbanken, die sich bis dato gerne als Fels in der Brandung des Finanzkapitalismus geriert hatten, geriet mancher Schalter ins Beben, als den Kundenberatern dämmerte, was ihnen bevorstand: Der netten Oma von Gegenüber, der sie Lehman-Zertifikate als eine Art besseren Bundesschatzbrief verkauft hatten, das Wort Emittentenausfallrisiko zu buchstabieren.

Seither hat sich die (Finanz-)Welt gewandelt. Einige der großen Adressen, die wie die WestLB oder die HRE das Fehlen eines tragfähigen Geschäftsmodells durch großvolumiges Kreditersatzgeschäft zu kompensieren versuchten, verschwanden vom Markt. Andere, wie die IKB oder die in HCOB umbenannte HSH Nordbank oder die inzwischen als Natwest firmierende Royal Bank of Scotland, wurden zum Teil in neuen Eigentümerstrukturen so weit zurechtgestutzt, dass sie heute nur noch wenig mit den Instituten von damals gemeinsam haben. Die Commerzbank gewann nach der Übernahme der Dresdner Bank wie auch ABN Amro mit dem Staat einen neuen Ankeraktionär, den man offenbar gar nicht so einfach wieder loswird.

Und auch die Spielregeln haben sich verändert. Die Kapitalpuffer, mit denen die Banken ihr Geschäft unterlegen müssen, ist um ein Vielfaches dicker geworden, und auch die Liquiditätsvorgaben sind strikter geworden. Wie sehr es sich nicht nur für die Steuerzahler, sondern auch für die Banken gelohnt hat, sich den von der Branche als renditefressendes Bürokratiemonster gegeißelten Vorgaben des Baseler Ausschusses zu beugen, war im Frühjahr zu beobachten. Während die in den Genuss von Ausnahmeregelungen gekommenen Regionalbanken in den USA dem von der Pleite der Silicon Valley Bank ausgelösten Dominoeffekt anheimfielen, erwies sich die europäische Bankenlandschaft trotz teilweiser heftiger Kursabschläge an den Börsen und steigenden Risikoaufschlägen der Kreditausfallversicherungen als resilient.

Grund zur Entwarnung besteht gleichwohl nicht, denn auch die Bedrohungen für die Branche haben sich verändert. Der jüngste Run auf die Einlagen der Silicon Valley Bank war – dank des Siegeszugs des Mobile Banking und befeuert von den Algorithmen der sozialen Netzwerke – um ein Vielfaches schneller, als man es in den Jahren um die Finanzkrise für möglich gehalten hätte. Hinzu kommt in Deutschland und anderen westlichen Gesellschaften der Fachkräftemangel, der die Banken zwingt, die Digitalisierung und den Gang in die Cloud so schnell wie möglich voranzutreiben. Was passiert, wenn das menschliche Personal fehlt, um die dabei zu erwartenden Hick-ups zu beheben, war jüngst bei der Deutschen Bank zu erleben, die sich wegen der massiven Zahl an Kundenbeschwerden einen scharfen Rüffel der Aufsicht eingefangen hat.

Für die Finanzstabilität die größte Gefahr dürfte jedoch die noch immer mangelnde Profitabilität der Branche sein. Hier wäre die Politik gefragt, die endlich Ernst machen muss mit der Umsetzung der Bankenunion. Wer mitbekommen hat, wie nach dem Lehman-Schock die Kapitalströme blitzschnell zurück in die USA flossen, wird nicht behaupten können, dass ein aus nationalen Bankenmärkten zusammengesetztes Europa auf Dauer ein sicherer Hafen ist.

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