Medienindustrie

Keine Berührungs­ängste

Im Handumdrehen hat Bertelsmann-Chef Thomas Rabe das RTL-Portfolio umgepflügt. Das weitere Vorgehen bestimmen die Kartellwächter.

Keine Berührungs­ängste

Es ist beinahe wie im Dschungelcamp von RTL. Berührungsängste darf der Teilnehmer nicht haben. Und Thomas Rabe, in Personalunion Vorstandschef von Bertelsmann und der Fernsehtochter RTL Group, hat definitiv keine. Im Gegenteil: Partnerschaften, Joint Ventures und Übernahmen gehören seit seinem Amtsantritt als Bertelsmann-Chef zum Tagesgeschäft. Ob es Ge­meinschaftsunternehmen mit Finanzinvestoren sind wie in der Musikrechtevermarktung oder mit Wettbewerbern wie im Buchverlagsgeschäft oder Allianzen in der Werbevermarktung – Hauptsache es dient dem kapitalschonenden Ausbau des Geschäfts.

Mit dem kürzlich angekündigten Verkauf des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr (G+J) an RTL Deutschland kommt nun eine neue Facette hinzu: M&A ist jetzt auch zwischen den Divisionen möglich. Dass die beiden Bertelsmann-Töchter nicht einfach zusammengeschoben werden, hängt damit zusammen, dass Bertelsmann nur gut 76 % an der Luxemburger Sendergruppe hält. Die Sperrminorität an G+J hatte sich Bertelsmann dagegen schon im Herbst 2014 einverleibt. Den sukzessiven Niedergang des größten deutschen Zeitschriftenverlags hat das allerdings auch nicht aufge­halten.

Die Dramaturgie folgt dem 2012 ausgegebenen Kurs, den Anteil strukturell schwacher Geschäfte zu senken und parallel dazu in ausgesprochene Wachstumsgeschäfte zu investieren. Mit dem Verkauf weiter Teile von G+J an RTL hat Bertelsmann zumindest eine Lösung für das einst so stolze Verlagshaus gefunden.

Mit der RTL Group, die im Bertelsmann-Reich bis heute die Cashcow gibt – auch wenn im Vorjahr pandemiebedingt auf die Ausschüttung einer Dividende verzichtet wurde –, hat Rabe allerdings weiterhin seine liebe Not. Denn ein ausgesprochenes Wachstumsgeschäft ist die Sendergruppe nicht mehr, seit internationale Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime den etablierten Fernsehgesellschaften den Rang um die Gunst der Zuschauer ablaufen und die Tech-Plattformen sich ein immer größeres Stück vom Werbekuchen abschneiden. Nicht heute und nicht morgen, aber übermorgen könnte sich die RTL Group damit im weit verzweigten Bertelsmann-Reich auf der Seite der strukturell schwachen Geschäfte wiederfinden. Um das zu verhindern, setzt Rabe auf den Aufbau nationaler TV-Champions, die den Streamingdiensten und Tech-Giganten aus den USA die Stirn bieten sollen.

Praktisch im Handumdrehen hat der Manager in den vergangenen Monaten das RTL-Portfolio umgepflügt. Neben der Trennung von Randaktivitäten wie der Online-Videoplattform Broadband TV oder der Werbeplattform SpotX wurden Lösungen für die TV-Geschäfte in Frankreich, Belgien und den Niederlanden gefunden. Während in Belgien zum Rückzug geblasen wird, bleiben die Luxemburger in Frankreich und den Niederlanden im unternehmerischen Risiko. In Frankreich hat sich RTL für die Rolle des Minderheitsaktionärs im fusionierten nationalen Champion entschieden und damit faktisch den Abschied auf Raten einge­läutet. In den Niederlanden geht RTL dagegen mit 70 % in die Führungsrolle. Und in Deutschland? Hier wird weiter darauf gewartet, dass der Rivale ProSiebenSat.1 zur Erkenntnis gelangt, dass am Zusammenschluss mit RTL Deutschland kein Weg vorbeiführt. Bis dahin gilt es, das Geschäft so zu stärken, dass sich die Frage, wer beim deutschen TV-Champion die Führungsrolle innehat, gar nicht mehr stellt.

Allerdings hat Rabe die Geschicke nicht gänzlich selbst in der Hand, müssen doch alle nationalen Lösungen – mit Ausnahme der G+J-Transaktion – die jeweiligen Kartellwächter passieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Frankreich. Dort hat sich RTL mit TF 1 zwar für den Partner entschieden, mit dem die größten Sprünge gelingen können. Damit Hand in Hand geht allerdings auch das größte regulatorische Risiko. Alles hängt davon ab, wie die Wettbewerbsbehörde den relevanten Markt definiert. Denn nur wenn der gesamte Werbemarkt herangezogen wird, kann der Deal fliegen.

Mit dem neuen Zuschnitt der RTL Group, der einem Teilrückzug gleichkommt, verfolgt Rabe aber zugleich übergeordnete Bertelsmann-Ziele. Denn bis heute hängt Gütersloh am Tropf der TV-Tochter, die noch immer für die Hälfte des operativen Konzernergebnisses steht. Erst wenn die anderen Segmente in Größe und Profitabilität an RTL heranreichen, hat Rabe seine Mission erfüllt.

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