LEITARTIKEL

Kirschblütenzeit in Hannover

Seit Jahren durchlebt die Computermesse Cebit in Hannover einen nicht nur schleichenden Bedeutungsverlust. Für die niedersächsische Landeshauptstadt muss das kein Nachteil sein. Die Hotelpreise sind noch immer hoch in den Tagen rund um die...

Kirschblütenzeit in Hannover

Seit Jahren durchlebt die Computermesse Cebit in Hannover einen nicht nur schleichenden Bedeutungsverlust. Für die niedersächsische Landeshauptstadt muss das kein Nachteil sein. Die Hotelpreise sind noch immer hoch in den Tagen rund um die Veranstaltung. Zudem folgt einige Wochen später die Hannover Messe – eine Industrieschau, die in den vergangenen Jahren dank des Digitalisierungstrends kräftig an Bedeutung gewonnen hat. Zumindest in diesem Jahr scheint der Rückgang der Ausstellerzahlen der Cebit gestoppt. Auf gut 3 000 beziffern die Messeveranstalter die Zahl der teilnehmenden Firmen. Rund 200 000 Besucher sollen kommen. Das wären jeweils so viele wie im Vorjahr, nachdem deren Zahl in den vorangegangenen Jahren dramatisch gefallen war. Noch vor vier Jahren kamen bei 4 200 Ausstellern weit mehr als 300 000 Besucher.Den richtigen Ansatzpunkt, um den Schwund zu stoppen, glauben die Veranstalter ausgemacht zu haben. Statt wie in früheren Jahren bei dem Versuch, die Digitalisierung zu fördern, im Wesentlichen auf Basistrends hinzuweisen – “Big Data, Social Business, Mobile, Cloud und mehr” war etwa das Motto des Vorjahres -, sollen 2017 konkrete Anwendungsbeispiele präsentiert werden. Zumindest die Grundausrichtung scheint zu stimmen. In einer aktuellen KPMG-Umfrage im Auftrag von Ricoh Europe geben knapp sechs von zehn europäischen Unternehmen an, “Ideen und Anstöße” seien wichtig für digitale Transformation. Keiner anderen Aufgabe wurde so viel Gewicht beigemessen. Das neue Motto “D!conomy – No Limits. Ideen und Lösungen für eine Digitale Welt” passt damit scheinbar wie die Faust aufs Auge. Zumal laut einer Umfrage unter Mittelständlern nicht einmal die Hälfte mehr als erste Schritte zur Digitalisierung gemacht haben will.”Wir werden eine der spannendsten Cebit-Messen seit vielen Jahren erleben”, rührt Messe-Chef Oliver Frese die Werbetrommel. Dennoch bleiben viele Themen der vergangenen Jahre weiter im Fokus: Roboter, Drohnen, künstliche Intelligenz, Big Data, Augmented Reality und natürlich Cybersicherheit mit dem zugeschalteten Stargast Edward Snowden. Die Technologien, die die Messe in den vergangenen Jahren geprägt haben, sind auch 2017 präsent. Dass es die Cebit schafft, von einem Schausteller technologischer Entwicklungen zu einem Austauschort über bahnbrechende Möglichkeiten der Digitalisierung zu werden, muss trotz mehr als 400 Start-ups in Hannover bezweifelt werden. Dafür gibt es anders ausgerichtete Konferenzen wie South by Southwest (SXSW) vergangene Woche in Austin (Texas).Ein Trumpf ist immerhin das Partnerland Japan, das in vielen Bereichen noch die Speerspitze der technologischen Entwicklung bildet und mit Teilnehmern vom Start-up bis zum Autogiganten Toyota stolze 7 000 Quadratmeter besetzt. “Noch nie hat sich ein Partnerland so stark aufgestellt”, befindet Frese. Der Schwerpunkt Industrietechnologie ergibt sich dabei 2017 schon durch die Kombination aus Gastgeber- und Partnerland – beide haben eine sehr starke industrielle Ausrichtung. Am Rande der gemeinsamen Messe-Eröffnung können sich Japans Premierminister Shinzo Abe und Bundeskanzlerin Angela Merkel zudem darüber austauschen, welche Schlüsse sie aus ihren Treffen mit US-Präsident Donald Trump ziehen. Bei Merkel werden die Eindrücke noch frisch sein. Trumps Amerika-First-Politik mit der angedachten Einfuhrsteuer ist für beide Länder eine Bedrohung. Deutschlands Wirtschaft ist dabei abhängiger von Exporten als die japanische. Dafür spielen Ausfuhren in die USA für Japan eine größere Rolle, und auch das Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten fiel 2016 gegenüber Japan mit 69 Mrd. Dollar noch höher aus.Ab Montag wollen deutsche und japanische Firmen sowie Unternehmen aus knapp 70 weiteren Ländern in Hannover Technologien, Produkte und Kollaborationen vorstellen, die den Weg in eine stärker digitale Zukunft weisen könnten. Pünktlich zu Beginn der Kirschblütenzeit in Japan haben Aussteller wie Gastgeber auf der Cebit damit Gelegenheit, dem von nationalistischen Tendenzen zunehmend bedrohten internationalen Ideenaustausch zu neuer Blüte zu verhelfen. Eine Computermesse kann damit zu mehr dienen als nur der Vorstellung neuer Trends – die gibt es schließlich auch außerhalb zu beobachten. Wenn die Cebit gegen den Trend zum Einziehen nationaler Grenzzäune in den Köpfen etwas bewegen kann, wäre einiges gewonnen – selbst wenn die Besucherzahl erneut unter der des Vorjahres bleiben sollte.——–Von Sebastian SchmidDie Computermesse Cebit hat an Bedeutung eingebüßt. Mit dem Partnerland Japan und neuem Fokus wird versucht, 2017 zum Jahr der Trendwende zu machen.——-