Notiert InBerlin

Kleben in der Hauptstadt

In vielen Städten und Regionen in Deutschland hat man lange nichts von den Klimaklebern der Letzten Generation gehört. Das hat einen Grund: Die Aktivisten sind alle in Berlin und buhlen hier um Aufmerksamkeit.

Kleben in der Hauptstadt

Kleben in der Hauptstadt

Von Andreas Heitker

Notiert in Berlin

Am Freitag gab es mal wieder Sitzblockaden der Aktivisten von der Letzten Generation auf der Stadtautobahn 100 – wie so oft in den letzten Wochen – sowie auf dem Kurfürstendamm. Auch die Siegessäule mitten im Tiergarten traf es: Direkt unter der "Goldelse" prangte am Vormittag ein großes Banner, das auf die geplante Besetzung der "Straße des 17. Juni" am Wochenende aufmerksam machte. Es soll ja ein Erfolg werden: Schließlich reisen dafür extra 50 niederländische Freunde der Gruppe Extinction Rebellion in die deutsche Hauptstadt, um ein Zeichen gegen fossile Subventionen zu setzen.

In Frankfurt, Stuttgart, Hannover oder anderen Städten und Regionen mag man sich verwundert die Augen reiben. Letzte Generation? Klimakleber? Gibt es die noch? Ja. Und dass man von ihnen in anderen Teilen der Republik lange nichts gehört hat, hat auch einen Grund: Sie sind alle in Berlin. Und hier buhlen sie fast täglich mit ihren Sekundenklebern und Spraydosen um Aufmerksamkeit.

Neuer Fokus

Dies ist mittlerweile gar nicht mehr so einfach, haben sich doch auf der einen Seite viele Berliner an die Störungen des Verkehrs gewöhnt. Zudem stehen in der Stadt gerade ganz andere Proteste rund um den Nahost-Konflikt im medialen Fokus. Die Pro-Palästina-Kundgebungen insbesondere im Stadtteil Neukölln sorgen ja gerade bundesweit für Aufmerksamkeit und Diskussionen.

Die Klimaaktivisten fahren daher aktuell auch die Strategie, ihre Berlin-Reiseführer durchzusehen, und sich auf die (touristischen) Top-Spots der Stadt zu konzentrieren, um noch ein wenig Empörung aus den Menschen herauszukitzeln: Brandenburger Tor mit oranger Farbe besprühen? Check. Öffentlich betonen, dass die Farbe jetzt immer dort bleibt und man sie notfalls auch erneuern wird? Check. Weltzeituhr mit oranger Farbe verschönern? Check. "Straße des 17. Juni" und Kudamm für Aktionen nutzen? Check. Grundgesetz-Denkmal im Regierungsviertel besudeln? Check. Internationalen Marathon der Stadt stören? Check. Und das ist ja noch längst nicht alles, was möglich ist: Der Fernsehturm auf dem Alexanderplatz? Das neue Humboldt-Forum? Die Museumsinsel? Da gibt es noch so einige Spielwiesen.

Mehr als 150 Urteile

Dass Berlin die absolute Hauptstadt der Klimaproteste ist, zeigt sich auch an einer Umfrage der "Deutschen Richterzeitung": Bis Ende September hatte die Staatsanwaltschaft Berlin demnach mehr als 2.900 Verfahren eingeleitet: rund 2.500 gegen Mitglieder der Letzten Generation und über 400 gegen Extinction Rebellion. Beim zuständigen Amtsgericht Tiergarten gab es laut Richterbund bislang mehr als 150 Urteile, wie der Berliner "Tagesspiegel" berichtete. Die Staatsanwaltschaft hatte im Sommer damit begonnen, verstärkt auch beschleunigte Verfahren gegen Klimaaktivisten zu beantragen.

In anderen deutschen Großstädten sind die Zahlen mit dieser Entwicklung nicht zu vergleichen: So lagen der Staatsanwaltschaft in Frankfurt lediglich 72 Fälle vor. In Köln gab es in den letzten eineinhalb Jahren nur 29 Verfahren. Die Staatsanwaltschaft München hat immerhin 84 Verfahren gegen Klimaaktivisten eingeleitet.

In Berlin hofft die Letzte Generation derweil weiter auf politische Aufmerksamkeit, wie sie etwa Aktivisten in den Niederlanden zuletzt erreicht hatten. An langen Autobahnblockaden im September hatten dort mehr als 20.000 Menschen teilgenommen.

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