Klimapakt gegen Überkapazitäten im Stahlmarkt
Gratwanderung am Stahlmarkt
Die USA und die EU wollen den seit 2018 schwelenden Konflikt um Strafzölle auf Stahl beilegen. Ein Klimapakt soll Schutz vor chinesischen Billigimporten bieten.
Von Annette Becker, Düsseldorf
An diesem Freitag findet in Washington ein Gipfeltreffen zwischen den USA und der EU statt, um unter anderem den seit 2018 schwelenden Streit um Schutzzölle auf Stahl und Aluminium endgültig beizulegen. Es steht viel auf dem Spiel – allen voran für die europäische Stahlindustrie. Für die Branche geht es vordergründig um die Abschaffung der Strafzölle. Letztlich aber versuchen beide Seiten einen Weg zu finden, um gegen die Überkapazitäten auf dem Weltmarkt vorzugehen. Es ist eine Gratwanderung zwischen Protektionismus und Klimaschutz.
Donald Trump hatte 2018 zahlreiche Länder mit Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumprodukte überzogen, darunter auch die EU. Zur Begründung hatte der US-Präsident auf die Gefährdung der nationalen Sicherheit verwiesen. Seit Ende 2022 steht fest: Die Strafzölle waren rechtswidrig. Geklagt hatten China, Norwegen, die Schweiz und die Türkei. Die EU hatte dagegen von einer Klage abgesehen und sich stattdessen mit der Biden-Regierung im Herbst 2021 auf die Suspendierung der Strafzölle für die Dauer von zwei Jahren verständigt. Bis dahin sollte ein Abkommen zur Gründung einer Art Klimaclub ausgearbeitet werden, der Schutz vor Überkapazitäten und klimaschädlichen Stahlimporten bietet.
Hohe Erwartungen
Nun läuft die Suspendierung der Strafzölle aus, doch das sogenannte General Agreement on Sustainable Steel and Aluminium (GSSA) lässt weiter auf sich warten. Ohne neue Regelung leben die Strafzölle 2024 wieder auf. Für Stahlimporte aus der EU belaufen sie sich auf 25% und für Aluminiumprodukte auf 10%.
Entsprechend groß ist die Erwartungshaltung der europäischen Stahlindustrie an das Gipfeltreffen: „Wir erwarten, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden eine grundsätzliche Vereinbarung bekannt geben, in der ein ehrgeiziger Rahmen dargelegt wird, der klare Leitlinien bietet und die wesentlichen Elemente des Global Arrangement on Sustainable Steel and Aluminium umfasst“, sagt Axel Eggert, Generealdirektor des europäischen Stahlverbands Eurofer. Die Details sollen bis zum Jahresende ausgearbeitet werden.
Offen für weitere Länder
Das zunächst bilaterale Abkommen solle gleichgesinnten Ländern offenstehen, sofern diese die Gepflogenheiten der transatlantischen Partner übernehmen. Einzelmaßnahmen haben nach Einschätzung von Eggert dagegen keine Chance, am Problem der Überkapazitäten etwas zu ändern.
Der Weltmarkt für Stahl befindet sich seit Jahr und Tag im Ungleichgewicht. Das Angebot übersteigt die Nachfrage deutlich – Tendenz: steigend. Nach Zahlen der OECD überstieg die globale Rohstahlkapazität die weltweite Nachfrage 2022 um 570 Mill. Tonnen (t). Das ist ein Vielfaches dessen, was die 27 EU-Mitgliedsländer 2022 mit 136 Mill. t produzierten. Bis 2025 wird sich die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage nach Schätzung der OECD auf 644 Mill. t ausweiten.
Neueste Zahlen lassen bis 2026 zusätzliche Produktionskapazitäten von 150 Mill. t erwarten. Aufgrund der deutlich höheren Kostenbasis der Stahlhersteller in der EU verschlechtern sich deren Exportchancen also weiter. Schon zwischen 2012 und 2022 sind im Außenhandel der EU 30 Mill. t verloren gegangen.
Die Macht der Nettoimporteure
Die Überkapazitäten werden im asiatischen Raum, im Nahen Osten und in Nordafrika geschaffen – vornehmlich basierend auf der klimaschädlichen Hochofen-Technologie. Die weltweite Stahlindustrie ist nach Angaben von Eurofer für 10% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Allein die neuen Kapazitäten dürften binnen drei Jahren zu mehr CO2-Emissionen führen, als die gesamte EU-Stahlindustrie bis 2050 einsparen werde, veranschaulicht Eggert die Dimensionen. Dass der Markt nicht zum Gleichgewicht zurückfindet, liegt daran, dass vielerorts staatliche Investoren hinter dem Kapazitätsaufbau stehen, die sich weniger um Marktgleichgewichte scheren.
Die EU und die USA sind gleichermaßen Nettoimporteure von Stahl und hätten im Schulterschluss einen viel größeren Hebel, klimafreundliche Produktion zu erzwingen. Auch die Wirtschaftsvereinigung Stahl setzt darauf, dass das GSSA „der Startpunkt für eine vertiefte internationale Kooperation beim Klimaschutz sein“ könnte. Zugleich ließe sich der schwelende Handelskonflikt endgültig zu den Akten legen. Last but not least wird im GSSA aber auch eine Möglichkeit gesehen, gegen die globalen Überkapazitäten wirksam vorzugehen.
Dass die Handelspartner beim GSSA noch nicht vorangekommen sind, liegt vor allem an unterschiedlichen Sichtweisen zum Umgang mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Während die WTO-Vorgaben für die EU sakrosankt sind und sie unfairen Handelspraktiken mit traditionellen Instrumenten wie Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen zu begegnen versucht, hadern die USA zunehmend mit den Vorstellungen eines regelbasierten Welthandels.
WTO-konform
Mit Blick auf den Stahlmarkt liegt der US-Fokus daher auf Maßnahmen, mit denen die weltweiten Überkapazitäten wirkungsvoll bekämpft werden können. Allerdings gibt es auch Stimmen, die mutmaßen, dass die Biden-Administration mit dem GSSA einen Weg gefunden hat, die aus rein protektionistischem Ansinnen verhängten Strafzölle unter dem Etikett „Nachhaltigkeit“ fortzuschreiben. Das geplante Abkommen ist nach Einschätzung von Handelsrechtsexperten WTO-konform, weil es die Welthandelsorganisation erlaubt, einzelne Länder unter Umweltaspekten unterschiedlich zu behandeln.
Inwieweit die EU tatsächlich bereit ist, auf den Griff in den veralteten Instrumentenkasten der WTO zu verzichten, bleibt abzuwarten. Erst kürzlich waren Überlegungen der Kommission publik geworden, vergleichbar dem Vorgehen bei Elektroautos Antisubventionsverfahren gegen chinesische Stahlimporte einzuleiten. Die klassischen Instrumente zum Handelsschutz sind nach Ansicht der GSSA-Befürworter jedoch nicht zur Problemlösung geeignet. Antisubventionsverfahren seien zu schwerfällig, wirkten erst, wenn der Schaden entstanden sei, und beschränkten sich außerdem auf eng abgegrenzte Produktgruppen, lautet die Kritik.
Der Grenzausgleichsmechanismus
Allerdings sollte auch nicht vergessen werden, dass mit dem Grenzausgleichsmechanismus (Cross Border Adjustment Mechanism, CBAM) erst Anfang dieses Monats ein neues Schutzinstrument der EU in die Testphase startete, das 2026 scharf geschaltet werden soll. Der CBAM ist ein Klimazoll, der künftig an den EU-Außengrenzen auf Zement, Eisen/Stahl, Aluminium, Düngemittel, Wasserstoff und Strom erhoben wird. Die Höhe bemisst sich dabei an der CO2-Intensität des einzuführenden Produkts.
Mit dem neuen Instrument sollen Kostennachteile, die hiesigen Produzenten aufgrund von Klimaschutzauflagen entstehen, ausgeglichen werden. Nach Einschätzung der Stahlverbände taugt das Instrument jedoch nicht, um Überkapazitäten auf dem Weltmarkt zu bekämpfen.
Die einzige Chance
Daher sieht Eurofer in dem geplanten Abkommen „die womöglich einzige Möglichkeit, substanzielle Emissionsverringerungen in der globalen Stahlindustrie“ zu erreichen. Ins gleiche Horn bläst Sigmar Gabriel in seiner Funktion als Aufsichtsratschef der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Der Vorsitzende der Atlantik-Brücke fordert die EU auf, mit geeigneten Maßnahmen für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. "Sonst wird es nicht nur keine grüne Stahlproduktion in Europa geben, sondern gar keine", sagte Gabriel.
Die Bedenken der EU gegen das (zunächst) bilaterale Vorpreschen, das vor allem China ins Visier nimmt, dürften aber auch mit der Furcht vor Gegenmaßnahmen zusammenhängen. Erst im Sommer hatte die Volksrepublik zwei für die Halbleiterproduktion wichtige Metalle mit Ausfuhrbeschränkungen belegt.