Italien löst Griechenland ab
Italien löst Griechenland ab
Von Claus Döring
Italien wird Griechenland als Schulden-Champion der Eurozone ablösen. Die Europäische Zentralbank als strategischer Gläubiger der Euro-Staaten wird es schwer haben, sich gegen eine Liraisierung des Euro zu stemmen.
Es wird ungemütlich für die Eurozone. Drei Schlagzeilen allein aus einer Woche: „Das Risiko Italien ist zurück“, „Der Elefant Italien kehrt zurück“ und „Der Wille zu einer soliden Haushaltspolitik ist in Italien nicht erkennbar“ (vgl. BZ vom 17., 19. und 20. Oktober). Man hätte noch eine vierte Schlagzeile schreiben können: „Italien löst Griechenland als Schulden-Champion ab“. Letzteres wird zwar erst 2026 der Fall sein, doch der Weg ist vorgezeichnet. Italien wird dann – wie aktuell – immer noch eine Staatsverschuldung von 140% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) haben. Griechenland dagegen wird dann seine Verschuldung von den rekordhohen 206% des Jahres 2020 über aktuell 163% (Ende 2023) auf 135% des BIP abgebaut haben. Während Griechenland damit seine finanzielle Rehabilitation fortsetzen dürfte – die Ratingagentur DBRS Morningstar hatte dem Land Anfang September wieder Investment Grade bescheinigt –, droht Italien das Abrutschen auf Ramschniveau.
Was lehrt uns das? Erstens sollte die Politik zur Reduzierung der Verschuldungsquote im Zähler und im Nenner ansetzen. Griechenland hat mit einem Wirtschaftswachstum von 8,4% im Jahr 2021 und von 5,9% im Jahr 2022 regelrecht outperformt, und auch die prognostizierten 2,6% des laufenden Jahres werden deutlich über EU-Durchschnitt liegen. Das starke Wachstum hat nicht nur den Nenner getrieben, sondern auch die Steuereinnahmen üppiger sprudeln lassen als geplant. In Kombination mit Haushaltsdisziplin erlaubte dies Athen vorzeitige Schuldentilgungen. Das drückte den Zähler. Da sich Wachstum und Steueraufkommen abschwächen, will die Regierung jetzt stärker die Privatisierungspipeline anzapfen. Denn von den im Jahr 2008 identifizierten 50 Mrd. Euro aus Verkäufen von Staatsbeteiligungen sind bisher erst 10 Mrd. Euro realisiert worden.
Zweitens hat Griechenland die finanzielle Repression zum Schuldenabbau nutzen können. Bei einer Inflationsrate von 9,3% im vergangenen und wohl 4% im laufenden Jahr liegt die Teuerung über den Zinsen für die Staatsschulden. Nachdem 2022 relativ hoch verzinste Kredite des IWF zwei Jahre früher als geplant zurückgezahlt wurden, sind jetzt Kredite der Eurogruppe an der Reihe, deren Zins bei knapp 4% liegt. Die Zeit und die nur langsam sinkende Inflationsrate arbeiten für Hellas. Bei einer durchschnittlichen Verzinsung der Staatsschulden von 1,4% und einer durchschnittlichen Laufzeit von 20 Jahren – der mit Abstand längsten in der Eurozone – kann sich Griechenland über Zinsprognosen wie „Higher for longer“ nur freuen.
Ganz anders Italien. Dort konnte sich die Regierung nur ganz kurz über die finanzielle Repression freuen, als die Inflationsrate 2022 auf 8,8% kletterte. Aktuell liegt die Teuerung unter der Rendite für zehnjährige Staatsanleihen. Bei einer durchschnittlichen Restlaufzeit aller ausstehenden Staatsanleihen von sechs Jahren muss also jährlich ein erhebliches Volumen refinanziert werden, und das zu steigenden Zinskosten. Die Spreads zehnjähriger italienischer Staatsanleihen gegenüber zehnjährigen Bunds machen inzwischen über 200 Basispunkte aus. Angesichts fehlender Budgetdisziplin und einer in diesem Jahr um 5,3% und im nächsten Jahr um 4,3% des BIP wachsenden Neuverschuldung sehen Marktbeobachter die Gefahr, dass die Ratingagenturen Italien das Investment Grade entziehen. Spätestens dann werden die Spreads Richtung 300 Basispunkte oder mehr laufen, der Kursverfall der italienischen Bonds die EZB-Bilanz dramatisch verkürzen. Dass die EZB als strategischer Gläubiger der Euro-Staaten dann die Kraft hätte, sich gegen die Liraisierung des Euro zu stemmen, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Nach der griechischen Tragödie käme die Commedia dell’arte auf den Spielplan des Euro-Theaters.