Kontrollwütige Kartellwächter
FUSIONEN
Kontrollwütige Kartellwächter
Von Christoph Ruhkamp
Manchmal überschreiten Kartellwächter ihre Befugnisse. Als 2021 der kalifornische Medizintechnikkonzern Illumina für 7 Mrd. Dollar den kalifornischen Krebstestanbieter Grail übernehmen wollte, zog Brüssel auf Bitten der Wettbewerbsbehörden in Frankreich, Belgien und Griechenland die Fusionskontrolle an sich, obwohl die Transaktion auf Basis der Regeln zur Umsatzgröße gar nicht angemeldet werden musste. So lautet jedenfalls die Entscheidung der Richter des EuGH in Luxemburg, der damit Brüssel in die Schranken verweist. Mit den 2021 neu geschaffenen Regeln für die EU-Fusionskontrollverfahren wollte Brüssel Übernahmen von wichtigen jungen Unternehmen mit geringen Umsätzen, aber großer Wirkung auf den Wettbewerb erfassen, die zuvor der Prüfung entgangen waren. Vereitelt wurden der Kauf des israelischen Chipherstellers Autotalks durch Qualcomm und die Übernahme des europäischen Nasdaq-Stromhandels durch die Deutsche Börse.
Die Kommission ist eigentlich nur zuständig für Fusionen von wirtschaftlich unionsweiter Bedeutung, bei denen die am Zusammenschluss Beteiligten bestimmte Umsätze erreichen. Das war bei Grail und Illumina nicht der Fall. Brüssel wendete einen Kniff an und nahm solche Fälle auf Bitten der nationalen Wettbewerbsbehörden an, auch wenn diese selbst ebenfalls nicht zuständig waren. „Mit ihrer Verweisungspraxis hat die Kommission versucht, sich durch eine eigenwillige Auslegung der Fusionskontrollverordnung eine Zuständigkeit aus dem Nichts zu schaffen“, urteilt Julian Urban von Hogan Lovells. Damit sollten kleine, aber wettbewerbsrelevante „Killer Acquisitions“ verhindert werden. So verständlich die Absicht ist, man hätte statt Trickserei die Regeln ändern müssen. So führte das Verhalten der Kommission dazu, dass die Rechtssicherheit generell ins Wanken geriet. Es wurde unklar, was man darf und was nicht. Dass die EU-Kommission nun Grenzen für ihre Kontrollwut gesetzt bekommt, dürfte den Appetit auf die Übernahme kleinerer Firmen wieder anregen. Das ist eine gute Nachricht, weil Start-ups so mehr Chancen auf eine gute Ausstattung mit Kapital haben.