Kreditkarten mit Zacken
Notiert in Brüssel
Kreditkarten mit Zacken
Von Detlef Fechtner
Ein Belgier hat mir einmal erklärt, er werde die Deutschen nie so richtig ernst nehmen können. Wie soll man, so lautete seine rhetorische Frage, denn vor Menschen Respekt haben, die nachts um zwei an einer in beide Richtungen überschaubaren Straße darauf warten, dass die Fußgängerampel auf grün springt? Oder die das Bett machen, bevor sie aus dem Hotel auschecken?
Freilich gibt es auch Verhaltensweisen von Belgiern, über die wahrscheinlich viele Deutsche den Kopf schütteln. Etwa, dass sich nur ein Teil der belgischen Autofahrer davon beeindrucken lässt, wenn die Polizei wegen Bauarbeiten eine Straße sperrt. Ich saß als Beifahrer oft genug in Autos, die im Slalomkurs um Baumaterialien und ausgehobene Straßenschächte manövriert wurden, nur um sich einen Umweg von wenigen hundert Metern zu sparen.
Die wahrscheinlich ärgste kulturelle Kluft zwischen Belgiern und Deutschen besteht derweil im Umgang mit Schnee und Eis – das lässt sich gerade in diesen Tagen wieder ausgezeichnet studieren. Während deutschen Hausbesitzern, die nach einem nächtlichem Wintereinbruch den Bürgersteig vor ihrem Grundstück nicht bereits am frühen Morgen schneefrei geräumt haben, die soziale Ächtung in der Nachbarschaft droht, gilt Schneeschippen in Belgien als gemeinhin überschätzt.
Hand aufs Herz: Wenn Sie einmal in den Morgenstunden jemanden in Ixelles, Woluwe oder Kraainem entdecken, der gerade das Trottoir von Schnee befreit, dann sprechen Sie ihn am besten direkt auf Deutsch oder Englisch an, nicht auf Französisch oder Flämisch. Denn die Wette gilt: Fünf Euro, dass das kein Belgier ist.
Ein Kollege von der „Neuen Züricher Zeitung“ wurde einst von einem Fernsehteam des RTBF, also sozusagen von der belgischen ARD, morgens beim Schneeschippen gefilmt und anschließend um ein Interview gebeten – was er natürlich mit Abscheu und Empörung ablehnte, wollte er sich doch nicht vor den Belgiern zur albernen Figur machen.
Seit das Thermometer in den vergangenen Tagen auch in Brüssel immer mal wieder unter null sinkt, kommt es wieder häufiger vor, dass Nachbarn morgens ihre Autos vor der Tür vorheizen (oder gar ihren Ehepartner rausschicken, um den Wagen vorheizen zu lassen), indem sie den Motor eine Dreiviertelstunde im Leerlauf vor sich her tuckern lassen. Das Risiko, von Passanten Vorhaltungen wegen des gewissenlosen Schadstoffausstoßes gemacht zu bekommen, ist im östlichen Nachbarland Deutschlands überschaubar. Zumindest von belgischen Passanten.
Die klimaschonendere Variante ist natürlich das Freikratzen der Scheiben. Weil vielen Belgiern indes das rechte Werkzeug fehlt, wird dazu dann auch schon mal eine Kreditkarte benutzt. Wenn ING, Paribas Fortis oder KBC also wieder mal eine Idee suchen, mit dem sie bei ihrer Retail-Kundschaft punkten können, wäre es vielleicht eine Kreditkarte mit Zacken.