Krisenfall Betriebsrente
Es war ein kleiner Lichtblick für eine ganze Branche, als in der vergangenen Woche Talanx, Zurich Deutschland und Verdi das erste Sozialpartnermodell in Deutschland unter Dach und Fach brachten. Die erste Betriebsrente ganz ohne Garantie ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer tatsächlich wie ein Aufbruch in ein neues Zeitalter – und für die Versicherer als Anbieter der Einstieg in ein neues Geschäft. Doch zu viel Euphorie ist unangebracht. Ob die jetzt vereinbarte „Nahles-Rente“, die gerade mal 11000 Talanx-Beschäftigte erreicht, zur Blaupause für ein neues Erfolgsmodell in der betrieblichen Altersvorsorge taugt, ist fraglich.
Auf Gewerkschaftsseite sind die Vorbehalte gegen garantiefreie Betriebsrenten nach wie vor groß, und auch die Arbeitgeber stehen nicht Schlange, was die Nachfrage nach dem Sozialpartnermodell angeht. Außerdem setzt die „Nahles-Rente“ einen Tarifvertrag voraus und scheidet damit für sehr viele aus, da mehr als jedes zweite Unternehmen nicht tarifgebunden ist. Auch die Vorschriften im Betriebsrentenstärkungsgesetz zur Umsetzung haben sich in Teilen als wenig praxistauglich erwiesen.
Der kleine Erfolg beim Sozialpartnermodell kann es nicht überdecken: Die betriebliche Altersvorsorge steckt in der Krise. In der rauen Welt des Dauerzinstiefs haben es die Betriebsrenten noch schwerer als die private Altersvorsorge. Tausende Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Pensionsrückstellungen mit zig Milliarden Euro auffüllen müssen, da der korrespondierende Rechnungszins immer weiter abgesackt ist. So soll zum Beispiel die Deutsche Bahn nach bisher unbestätigten Berichten im Abschluss 2020 über 1 Mrd. Euro zusätzlich für die Altersvorsorge ihrer Beschäftigten reserviert haben. Das Ende der Fahnenstange ist für die deutsche Wirtschaft noch lange nicht erreicht. Bis mindestens 2026, so schätzen Experten, werden HGB-Bilanzierer mit Direktzusagen in ihren Bilanzen kräftig nachreservieren müssen, da der Rechnungszins wohl weiter sinken wird. Ein Prozentpunkt weniger Zins macht dabei etwa 10 bis 15% höhere Rückstellungen aus.
Auch für die externen Kapitalsammelstellen der betrieblichen Altersvorsorge sieht es düster aus. Drei Pensionskassen haben bereits Leistungen gekürzt, noch mehr ihr Neugeschäft eingestellt. Etwa jede vierte Pensionskasse steht unter intensivierter Aufsicht der BaFin. Und die Lebensversicherer, die unter anderem mit Direktversicherungen am Milliardengeschäft betriebliche Altersvorsorge partizipieren, müssen schon seit Jahren für die teils hohen Garantiezusagen der Vergangenheit nachreservieren.
Die Transformation der Betriebsrenten in eine Welt ohne Garantien ist mühsamer als in der privaten Altersvorsorge. Dort haben die Lebensversicherer ihre Kunden längst überzeugt und machen einen Großteil ihres Neugeschäfts mit stärker kapitalmarktorientierten Verträgen, die mehr Renditechancen mit etwas mehr Risiko kombinieren. Im Neugeschäft in der betrieblichen Altersvorsorge spielen dagegen klassische Policen immer noch eine große Rolle. Garantien stehen im Arbeitnehmerlager hoch im Kurs. Der Produktwandel gestaltet sich schwerfällig. Dass Garantien in der aktuellen und wahrscheinlich noch lange anhaltenden Tiefzinsphase ihre Schwächen haben und Rendite kosten, muss Arbeitnehmern sorgfältig erklärt werden. Doch in der Pandemie fand Beratung nur selten statt. Vermittlern blieb der Zugang in die Unternehmen verwehrt, digitale Beratungsgespräche waren schwierig zu organisieren.
In der betrieblichen Altersvorsorge wirken also gleich drei Faktoren als Bremsklötze: Zinstief, Pandemie und Gesetzgebung. An den ersten beiden lässt sich schwer drehen. Doch eine Überarbeitung der gesetzlichen Grundlagen, allen voran eine Weiterentwicklung des Sozialpartnermodells wäre ein prima Ansatz.
Doch auch das würde wohl nicht reichen: Ein gravierendes Problem bleibt das mangelnde Wissen um die betriebliche Altersvorsorge bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wenn politisch wirklich eine substanziell verbreiterte Nutzung betrieblicher Altersvorsorge durchgesetzt werden sollte, käme der Gesetzgeber um ein Opting-out-Modell wohl nicht herum. Am besten kombiniert mit noch stärkerer Geringverdienerförderung. Damit würde eine betriebliche Altersvorsorge für jeden zur Regel. Wer sie nicht wollte, müsste aktiv widersprechen. Doch nach großem Reformwillen – den es dafür bräuchte – sieht es derzeit nicht aus. Die Politik hat anderes zu tun.