LeitartikelBig Tech

Lackmustest für Regulierung

Das Kräftemessen von Amazon und Bundeskartellamt vor dem BHG setzt ein Signal, wie Ernst es die Behörden mit der Regulierung von Big Tech nehmen.

Lackmustest für Regulierung

Big Tech

Lackmustest

Von Heidi Rohde

Das Kräftemessen von Amazon und Bundeskartellamt vor dem BGH setzt ein Signal, wie ernst es die Behörden mit der Regulierung von Big Tech meinen.

Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam, und das nicht zuletzt, weil die Streitfällen zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren sich oft genug ebenfalls sehr in die Länge ziehen. Nicht von ungefähr ist daher die Erkenntnis gereift, dass der klassische behördliche Instrumentenkasten im Hinblick auf die Entwicklungs- und Innovationsgeschwindigkeit der Digitalwirtschaft ungenügend ist, vor allem wenn es darum geht, unternehmerische Verhaltensweisen mit erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen wirksam zu regulieren. Als ersten konkreten Schritt der Abhilfe hat Deutschland vor gut zwei Jahren das Wettbewerbsrecht mit der Einführung des Paragrafen 19a modernisiert. Er zielt insbesondere darauf, Big Tech zum Schutz der Allgemeinheit Fesseln anzulegen, indem marktmächtige Digitalkonzerne einer speziellen Missbrauchsaufsicht unterliegen. Diese soll den Kartellwächtern frühzeitige Eingriffe bei Verdacht auf wettbewerbswidrige Verhalten ermöglichen.

Das Bundeskartellamt hat von dieser Möglichkeit seither Schlag auf Schlag Gebrauch gemacht. Alphabet, Amazon, Apple und Meta wurden in einem Schritt bereits als marktmächtige Unternehmen eingestuft, bei Microsoft läuft derzeit noch die Prüfung dazu. Zugleich hat die Behörde auch eine Reihe von Verfahren eingeleitet, allein drei gegen Google, zwei gegen Amazon und jeweils eins gegen Meta und Apple. Die rege Betriebsamkeit der Behörde hat nun vor allem bei Amazon die Alarmglocken schellen lassen. Der Konzern wehrt sich gegen die formale Einstufung als marktmächtiges Unternehmen.

Dass der Bundesgerichtshof (BGH) zunächst erwogen hatte, die Sache dem Europäischen Gericht zur Prüfung vorzulegen, zeigt die sehr grundsätzliche Bedeutung, die die Richter der Sache beimessen, und reflektiert die globale Skalierung der Geschäftstätigkeit von Amazon, die zumindest eine einheitliche Regulierung in großen Wirtschaftsräumen – wie der EU – angezeigt erscheinen lässt. Das anstehende BGH-Verfahren wird damit auch zu einem Lackmustest für eine Gesetzgebung, mit der Deutschland hoffte, für die Gemeinschaft ein Vorbild zu entwickeln, das in eine konkrete EU-weite Regulierungspraxis mündet. Mit dem sogenannten Digital Markets Act (DMA) wurde dazu in der EU ein erster Schritt unternommen. Allerdings fehlt bisher ein vergleichbares Instrument, wies es der Paragraf 19a hierzulande darstellt.

Die Ersteinschätzung des BGH, dass das neue Gesetz, das die Kartellwächter bei Amazon anwenden, zumindest nicht verfassungswidrig ist und nicht gegen EU-Recht verstößt, ist ein Signal an die Digitalkonzerne, dass es zumindest Deutschland ernst damit ist, Digitalkonzerne mit handfesten Vorschriften und Instrumenten an die Kandare zu nehmen. Die EU-Kommission dagegen hat bisher, was den Umgang mit Marktmacht der Digitalkonzerne angeht, von Fall zu Fall unterschiedliche Botschaften gesendet, wenn es um den Eingriff in Geschäftsmodelle ging.

Während die mächtige Wettbewerbsbehörde in – oft jahrelangen – Verfahren Missbrauch durch Selbstbevorzugung, Knebelverträge und Datenausbeute durchaus mit saftigen Strafen sanktioniert hat, scheut die Kommission in anderen Fällen, davor zurück, eindeutig Stellung zu beziehen. Jüngstes Beispiel sind die Beziehungen zwischen Big Tech als Content-Provider und der Telekommunikationsbranche als Infrastrukturanbieter. Diese können aufgrund der erdrückenden Marktmacht der Tech-Riesen seit Jahren nicht in kommerziellen Verhandlungen zwischen den Unternehmen geklärt werden.

Abgesehen von einem Grundsatzsignal an Big Tech eröffnet der Fall Amazon auch die Chance, die Kriterien für Marktmacht zu entstauben und dem digitalen Zeitalter anzupassen. Wenn allein Umsatzmarktanteile zugrunde gelegt werden, kann Amazon darauf verweisen, dass der globale Einzelhandel äußerst fragmentiert und wettbewerbsintensiv ist. Indes scheint es geboten, hier neue Maßstäbe anzulegen, die insbesondere
Plattformcharakter, verbundene Märkte und Kundenbindung berücksichtigen.