LeitartikelEZB-Sitzung

Lagarde ist gefragt

Der Ausgang der EZB-Sitzung ist offen wie seit Jahren nicht. Der Kampf gegen die Inflation muss aber weiter Priorität haben.

Lagarde ist gefragt

Tut sie es oder tut sie es nicht? Erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen am Donnerstag erneut um 25 Basispunkte oder legt sie nach neun Zinsanhebungen in Folge eine Pause ein? Es gibt viele überzeugende Argumente für eine weitere Zinserhöhung – und das wäre wohl die beste Entscheidung. Allerdings gibt es auch einige gute Gründe für eine Pause. So oder so muss die EZB aber klarmachen, dass das in den EZB-Videocartoons fast niedlich anmutende Inflationsmonster noch längst nicht besiegt ist. Der Job der EZB ist noch nicht erledigt.

Inflation weiter viel zu hoch

Für eine abermalige Zinserhöhung sprechen natürlich zuvorderst die weiter viel zu hohe Inflation und die nach wie vor virulenten Inflationsgefahren. Trotz Halbierung seit Oktober 2022 ist die Teuerung mit 5,3% immer noch meilenweit vom 2-Prozent-Ziel der EZB entfernt und vor allem die hartnäckige Kernteuerung (ohne Energie und Lebensmittel) ist ein Grund zur Sorge. Dadurch ist auch der Realzins – Leitzins abzüglich Inflation – anders als in den USA weiter negativ. Der neuerliche Anstieg der Energiepreise ist zudem eine Erinnerung, wie schnell sich eine zweite Inflationswelle aufbauen kann. Gefahren drohen etwa auch durch die steigenden Löhne, die sinkende Produktivität und die Abwertung des Euro. Der jüngste leichte Anstieg wichtiger Inflationserwartungen an den Märkten und in der monatlichen CES-Umfrage der EZB ist ein Warnsignal. Eine weitere Zinserhöhung wäre jetzt ein glasklares Signal, dass die EZB es mit den 2% ernst meint und nicht beim kleinsten Inflationsrückgang sofort nachlässt.

Tatsächlich ließe sich aber auch eine Zinspause rechtfertigen. Die Euro-Wirtschaft hat mächtig an Schwung verloren und die Rezessionsgefahr ist gestiegen. Zugleich dürfte der disinflationäre Trend ab September wieder Momentum aufnehmen. Und die bisherigen Zinserhöhungen um 425 Basispunkte seit Juli 2022 – die aggressivsten seit Einführung des Euro 1999 – haben ihre volle Wirkung noch nicht entfaltet. Mehr Zeit könnte ein klareres Bild bringen. Allerdings ist die Wirtschaft auch im zweiten Quartal trotz schwacher Stimmungsindikatoren gewachsen und die Hoffnungen in Sachen Inflation haben sich mehrfach als trügerisch herausgestellt. Wenn sich die EZB jetzt für eine Pause entscheiden sollte, muss auf jeden Fall ganz klar sein, dass das nicht automatisch ein Ende des Zinserhöhungszyklus bedeutet.

Restriktive Geldpolitik nötig

Fraglich ist aber, ob eine solche „falkenhafte Zinspause“ überhaupt gelingen kann. Die große Gefahr ist, dass die Märkte nur den einen Teil der Botschaft verstehen, die Zinspause, und ihre Wetten verstärken, dass der Zinsgipfel erreicht ist und die Zinsen womöglich bald sogar wieder sinken. Eine entsprechende Lockerung der Finanzierungsbedingungen würde die Politik der EZB konterkarieren. Ein ganz ähnliches Risiko besteht bei der von einigen Euro-Notenbankern propagierten Strategie, auf weitere Zinserhöhungen zu verzichten und dafür für längere Zeit hohe Leitzinsen in Aussicht zu stellen. Das ist im Zeitablauf nicht unbedingt glaubwürdig und kann sich rasch als kontraproduktiv herausstellen. Weitere Zinserhöhung hin oder her – es braucht definitiv noch länger eine eher restriktive Geldpolitik.

Dass die EZB parallel überlegt, welche anderen Instrumente sie im aktuellen Stagflationsszenario nutzen kann, ist richtig. Eine Erhöhung der Mindestreserve von aktuell 1%, die die Banken bei der EZB halten müssen, kann eine sinnvolle Option sein, um dem System Liquidität zu entziehen. Hübscher Nebeneffekt: So ließen sich auch die risikolosen Gewinne, die Banken aktuell durch die Kombination aus hoher Überschussliquidität und Zinswende erwirtschaften, zumindest etwas reduzieren. Die EZB sollte zudem ein höheres Tempo beim Abbau ihrer aufgeblähten Bilanz erwägen. Klar ist aber auch: Das primäre geldpolitische Instrument ist der Leitzins und nach aktuellem Stand muss der weiter steigen.

Jetzt kommt es vor allem auf EZB-Präsidentin Christine Lagarde an. Für sie wird es sicher nicht unbedingt einfacher, den Laden zusammenzuhalten und neue Gräben zu vermeiden. Nach dem sträflichen Unterschätzen der Inflation in den Jahren 2021 und 2022 muss es nun aber vor allem darum gehen, die arg angekratzte Glaubwürdigkeit der EZB als Hüterin stabiler Preise wieder zu stärken.

EZB

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Der Ausgang der EZB-Sitzung ist offen wie seit Jahren nicht. Der Kampf gegen die Inflation muss aber weiter Priorität haben.

Von Mark Schrörs
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