Langer Weg zur Transitionstaxonomie
Die Welt ist nicht dunkelgrün
Der Übergang von einer braunen und klimaschädlichen Wirtschaft kostet enorme Summen. Die Förderung von grünen Unternehmen durch die EU-Taxonomie greift aus Sicht von Kritikern zu kurz.
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Die Transformation der Wirtschaft in Richtung einer nachhaltigen, klimaneutralen Welt kostet Unsummen. Die Finanzierung der Transformation ist also die wesentliche Aufgabe der kommenden Jahrzehnte. Schätzungen des Internationalen Währungsfonds nennen einen Investitionsbedarf von 3 bis 6 Bill. Dollar pro Jahr bis 2050. Derzeit liegt die Summe bei weniger als 1 Bill. Dollar pro Jahr. „Der Markt für nachhaltige Finanzierung entwickelt sich, und er bleibt dynamisch“, so Sabine Mauderer, Vorstand der Deutschen Bundesbank für Personal und Märkte, auf einer Fachtagung der Frankfurt School of Finance.
Angesichts der großen Aufgaben gehen die Bestrebungen der EU aus Sicht von vielen Experten nicht weit genug bzw. in die falsche Richtung. Die EU teilt die Wirtschaftsaktivitäten in grün und nichtgrün ein, indem sie in der Taxonomie definiert, welche Geschäfte konform gehen mit dem Regelwerk. Gestartet ist die EU-Taxonomie mit zwei Klimazielen, jetzt wird sie ergänzt um vier weitere Umweltziele wie Wasser und Biodiversität.
Das Prinzip der Taxonomie ist dabei gleich geblieben, sie ist ein regelbasierter technischer Ansatz, der detaillierte Anforderungen an die Unternehmen und die Berichterstattung mit sich bringt. Das soll Planungssicherheit und Transparenz gewährleisten, aber es führt zu einer hohen Komplexität. Die EU-Taxonomie füllt Hunderte von Seiten.
Nur 40 Prozent erfasst
Trotz der geplanten Ausweitung der taxonomiekonformen Wirtschaftsaktivitäten geht vielen ESG-Fachleuten die Entwicklung in die falsche Richtung. Vermisst wird insbesondere, dass Unternehmen in einem Übergangsstadium nicht berücksichtigt werden. Dabei sei der Weg von einer braunen zur grünen Wirtschaftsweise unter Umständen besonders effektiv zur Erreichung der Klimaziele.
In der EU-Taxonomie werden auch in der erweiterten Fassung viele wirtschaftliche Aktivitäten gar nicht erfasst. Laut EU werden nur etwa 40% der in der EU börsennotierten Unternehmen durch die definierten wirtschaftlichen Aktivitäten abgedeckt. „Das führt bei Unternehmen dazu, dass sie sich stigmatisiert fühlen, weil sie durch das Raster fallen, obwohl sie sich in puncto ESG verbessern. Wir können das nachvollziehen. Der Großteil der Wirtschaft will sich transformieren und hier muss man Anreize setzen“, sagt Torsten Jäger, Leiter Sustainable Finance des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Ähnlich hatte 2022 die EU-Plattform on Sustainable Finance in einem Bericht argumentiert.
Eine Alternative zu einer regelbasierten Taxonomie ist der sogenannte prinzipienbasierte Ansatz. Bei diesem flexibleren Weg werden Prinzipien festgelegt, die für das Verständnis von Nachhaltigkeit gelten. „Diese müssen von Unternehmen und Investoren, aber auch von der Aufsicht interpretiert und ausgelegt werden“, so Mauderer. Das lasse viel Spielraum und bringe Unsicherheit sowohl für Anleger als auch für Anwender. „Die Gefahr des Greenwashing ist nicht ausgeschlossen.“
Die Bundesbank-Vorständin sagt aber auch, dass die eigentliche Herausforderung darin bestehe, insbesondere die nichtgrünen Industrien in den Blick zu nehmen. „Es geht vor allem darum, den karbonintensiven Unternehmen einen Weg aufzuzeigen, wie sie transformieren können.“ Die ursprüngliche Frage, „wie finanziert man grün“, werde inzwischen um die Frage nach der Finanzierung der Transformation ergänzt.
Musik im gelben Bereich
Anders als beim Ansatz der EU müsse es künftig um die Finanzierung von wirtschaftlichen Tätigkeiten gehen, die noch nicht grün sind, die es aber werden sollen und müssen. Bislang bildet die EU-Taxonomie aber den Übergang hin zu einer klimaneutralen Industrie noch nicht ausdrücklich ab.
„Die Musik spielt bei der Transformation vor allem im ‚gelben Bereich‘. Es geht darum, die Unternehmen zu befähigen und mit finanziellen Mittel zu unterstützen, damit sich diese in Richtung Nachhaltigkeit bewegen können. Der Fokus auf dunkelgrün reicht nicht aus“, sagt auch BdB-Experte Jäger. Klar sei aber auch, dass viele Unternehmen noch einen langen Weg vor sich hätten.
In seiner Stellungnahme zum Entwurf der um vier Umweltziele erweiterten Taxonomie gibt auch das Deutsche Aktieninstitut zu bedenken, dass die Taxonomie die Unternehmen beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Klimaneutralität unterstützen sollte.
Zuletzt hatte sich der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung für die Ausweitung der EU-Taxonomie in Richtung einer Transitions-Taxonomie ausgesprochen. Eine solche Lösung würde das Verständnis für einen „sinnvollen“ Beitrag zur Transformation „sachgerecht erweitern und wäre eine Chance für Unternehmen darzulegen, dass sie, auch wenn sie heute noch nicht umfangreich ‚grün‘ agieren, trotzdem einen wichtigen Beitrag zur Transformation leisten“, heißt es beim Beirat. Außerdem könnte die Schließung von Lücken in der Taxonomie die Finanzierung dieser Transitionsaktivitäten sicherstellen.
Die Finanzbranche stimmt einem pragmatischeren Taxonomieansatz vielfach zu. Es gehe darum, Investoren zu helfen, ökologisch nachhaltige Aktivitäten zu identifizieren und Finanzströme in diese Aktivitäten zu lenken. „Diesem Ziel steht entgegen, dass Unternehmen Aktivitäten bewerten müssen, die weder einen wesentlichen Beitrag zu den Zielen der Taxonomie noch zum Unternehmenserfolg leisten“, so das DAI in der Stellungnahme zur Erweiterung der Taxonomie. Das Aktieninstitut weist mit Blick auf die Ausweitung der Taxonomie auch darauf hin, dass die Verhältnismäßigkeit der Kosten der Informationsbeschaffung und des Nutzens der Taxonomie-Berichterstattung gewahrt bleiben müsse.
Gefahr für Transformation
Die EU-Plattform on Sustainable Finance, die die Kommission berät, schlug 2021 eine Transformationstaxonomie vor. Die Plattform plädiert für Erweiterung der an Umweltzielen orientierten Metrik, doch das griff die EU-Kommission nicht auf, sondern integrierte Atomstrom und Gasenergie in die sonst grüne Taxonomie. Die Plattform hat zudem davor gewarnt, dass die EU-Taxonomie mit Fokus auf grüne Tätigkeiten der Finanzierung der Transformation womöglich schaden könnte. Das Gremium legte im März 2022 in seinem finalen Bericht dar, wie sich die Taxonomie erweitern ließe und wie man Transformation stärker fördern könnte. Viele Branchen müssten zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen übergehen, auch wenn sie das Niveau der aktuellen Taxonomie noch nicht erreichen, schrieben die EU-Berater. Da solche Prozesse finanziert werden müssten, brauche es eine Transitionstaxonomie.
„Wir halten es bei einer angedachten Transitionstaxonomie für problematisch, dass dies auch über einzelne Bewertungskriterien abgebildet werden soll. Besser wäre es aus unserer Sicht, das über Transitionspläne zu machen“, wendet allerdings Frederik Lange, Sustainable-Finance-Experte beim BdB, ein.
Wege aufzeigen
Transitionspläne wären eine Möglichkeit für Unternehmen, den Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu konkretisieren. Diese legen Unternehmen dar, wie sie den Weg hin zu „Net Zero“ angehen können. „Das ist zum einen wichtig, weil Unternehmen sich so auf die Transition vorbereiten und sich in die Lage versetzen, diese auch umzusetzen. Zum anderen sind die Angaben und Daten der Transitionspläne wichtige Informationen für Investoren“, sagt Mauderer.
Solche Pläne könnten Defizite der Taxonomien ausgleichen, da sie alle Aktivitäten der Unternehmen umfassen. Aus Sicht der Bundesbank ermöglichen es Transitionspläne damit Banken und Investoren, auch CO2-intensive Unternehmen zu finanzieren.