LEITARTIKEL

Lasst euch retten!

Die Luftverkehrsindustrie wird nach der Coronakrise eine andere sein. Das hat damit zu tun, dass das Airline-Geschäft nur langsam wieder Fahrt aufnehmen wird, wenn die Reisebeschränkungen nach und nach fallen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat...

Lasst euch retten!

Die Luftverkehrsindustrie wird nach der Coronakrise eine andere sein. Das hat damit zu tun, dass das Airline-Geschäft nur langsam wieder Fahrt aufnehmen wird, wenn die Reisebeschränkungen nach und nach fallen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat bereits angekündigt, dass sein Unternehmen eine ganze Zeit lang mit 100 Flugzeugen weniger als mit den bisher 763 Maschinen unterwegs sein wird. Viele andere Fluglinien werden schrumpfen oder gleich ganz vom Markt verschwinden.Die Luftverkehrsindustrie wird aber auch deshalb eine andere sein, weil die staatliche Unterstützung für einige Fluggesellschaften enorme Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben wird. Wer sich nun über die bis zu 9 Mrd. Euro empört, mit denen die Bundesregierung der Lufthansa unter die Arme greifen will, dem sei der Blick über den Tellerrand empfohlen. Bemessen am zuletzt erwirtschafteten Umsatz mit Ticketverkäufen wird zum Beispiel Singapore Airlines vom Stadtstaat mit einer Summe unterstützt, die 84 % dieser Erlöse entspricht – rund 11 Mrd. Dollar. In den USA sind es bei geschätzten Umsätzen von 200 Mrd. Dollar fast 33 %, also über 65 Mrd. Dollar. In Europa sind Frankreich und die Niederlande mit ihren Hilfen Spitzenreiter, Deutschland käme mit der Unterstützung für die Airline-Branche auf knapp 20 % der Erlöse und damit europaweit auf Platz 4. Weltweit wurde für die Industrie, so schätzt der Airline-Verband IATA, an staatlichen Hilfeleistungen schon ein Paket von über 123 Mrd. Dollar geschnürt.Es gibt aber Regionen, in denen Staaten wenig oder gar keine Mittel zur Verfügung stellen, etwa in Süd- und Lateinamerika, Indien und in Afrika. Dort ansässige Unternehmen könnten komplett abgehängt werden, erste Insolvenzen – etwa der größten südamerikanischen Airline Latam – sprechen hier eine deutliche Sprache. Verschwinden aber große Player vom weltweiten Markt, eröffnet das denen, die übrig bleiben, neue Chancen.Das Gezerre um die Lufthansa-Rettung kann man vor diesem Hintergrund nicht verstehen. Als global tätige Airline mit funktionierendem Geschäftsmodell wird die Lufthansa auf mittlere und lange Sicht einer der Profiteure der Krise sein, dafür muss sie sich jetzt aber retten lassen. Das Paket aus Berlin stellt sicher, dass das Unternehmen durch die aktuelle Krise kommt. Die nun möglichen Restrukturierungsschritte werden der Airline, die auch schon in besseren Zeiten einige Baustellen hatte, guttun. Die Einflussnahme, die der Staat für seine Unterstützung einfordert, ist überschaubar. Die Führung der Fluglinie hat das staatliche Rettungspaket zuletzt selbst als einzig gangbare Alternative bezeichnet, ziert sich aber bei der Zustimmung und droht hinter den Kulissen immer wieder mit einem Schutzschirmverfahren, mit dem viel Vertrauen bei Investoren, Kunden und Mitarbeitern verspielt würde.Dass es der EU-Kommission nun einfällt, als Preis für ihre Zustimmung die Lufthansa zur Abgabe von Start- und Landerechten zu verpflichten, mag aus Sicht der Fluglinie schwierig und ungerecht sein, dem Rettungspaket sollte sie trotzdem dringend zustimmen. Im Moment sind die sogenannten Slots selbst an Drehkreuzen wie Frankfurt keine Mangelware, und dies dürfte so lange so bleiben, bis der Luftverkehr wieder Vorkrisenniveau erreicht hat. Bis dahin ist in Frankfurt Terminal 3 eröffnet, wodurch die Zahl der Start- und Landerechte wächst. Auf einen Teil dieser neuen Zeitfenster hat die Lufthansa als Platzhirsch Anspruch, so dass es schlimmstenfalls auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen dürfte.Auch die Gefahr, über die Abgabe von Slots Tür und Tor für die Billigflieger zu öffnen, ist überschaubar. Ryanair hat längst erkannt, dass sich in Frankfurt angesichts vergleichsweise hoher Gebühren nicht wirklich gut Geld verdienen lässt, und deshalb ihre Präsenz am größten deutschen Drehkreuz bereits vor Corona zurückgefahren. Da erwartet wird, dass Flughäfen die Entgelte über kurz oder lang erhöhen, um die nun bei ihnen gerissenen finanziellen Löcher zu stopfen, werden diese Standorte für die Billigflieger eher noch unattraktiver.Ein Wort noch zu Ryanair: Der Chef des Low-Cost-Carriers leistet derzeit den lautesten Widerstand gegen Staatshilfe für die Deutsche Lufthansa. Er hat bereits Klagen angedroht. Gerne brüstet sich Michael O’Leary damit, dass Ryanair keine Staatshilfe in Anspruch nehmen will. Das mag in dieser Krise so sein, allerdings hat die Fluglinie jahrelang von staatlicher Unterstützung profitiert – in Form von niedrigen Gebühren an staatlichen oder teilstaatlichen Flughäfen in der (deutschen) Provinz.——Von Lisa SchmelzerWer sich nun über die bis zu 9 Mrd. Euro empört, mit denen die Bundesregierung der Lufthansa unter die Arme greifen will, dem sei der Blick über den Tellerrand empfohlen.——