LeitartikelInterbankenzins

Libor-Übergang auf den letzten Drücker

Die tägliche Publikation des Dollar-Libor endet am 30. Juni. Doch der Markt für US-Hochzinskredite ist noch immer stark an den alten Interbankensatz gebunden. Marktteilnehmer müssen endlich die Kraft für eine Einigung finden.

Libor-Übergang auf den letzten Drücker

Interbankenzins

Libor-Übergang auf den letzten Drücker

Von Alex Wehnert

Gläubiger und Schuldner müssen bis Monatsende dringend Kompromisse zur Verzinsung Libor-gekoppelter Kredite finden.

Kurz vor Einstellung der London Interbank Offered Rate ist für die Marktteilnehmer höchste Eile geboten. Denn die tägliche Publikation des von Manipulationsskandalen umwobenen alten Referenzsatzes, der über Jahrzehnte den Standard bei der Berechnung von Kreditzinsen bildete, endet bereits am 30. Juni. Doch obwohl die Dringlichkeit einer Umstellung von Darlehen auf den Nachfolgesatz Secured Overnight Financing Rate (Sofr) Gläubigern und Schuldnern schon lange klar sein muss, stehen bis zum Stichtag äußerst hektische Verhandlungen über die Konditionen von Ramschkrediten bevor, die noch immer in hohen Volumina an den Libor gekoppelt sind. Anfang des Monats waren amerikanische Junk Loans von weniger als 700 Mrd. Dollar auf Sofr umgestellt, also nicht einmal die Hälfte des US-Hochzinsmarktes.

Wenngleich zuletzt Tempo in die Verhandlungen gekommen ist – im März hingen noch US-Ramschkredite im Volumen von mehr als 1 Bill. Dollar am Libor – bahnt sich zum Quartalsende doch ein Rückstau an, den die bearbeitenden Finanzinstitute selbst bei weitreichenden Einigungen zwischen Schuldnern und Gläubigern wohl nur mit einem gewaltigen Kraftakt rechtzeitig abbauen können. Gelingt dies nicht, drohen Verwerfungen, die sich vom Markt für Hochzinskredite auch auf andere Assetklassen ausbreiten könnten – davor warnt das von der Federal Reserve einberufene Komitee für alternative Zinssätze bereits seit Monaten.

Denn für einen bedeutenden Teil der Schuldner dürften die Zinsen massiv steigen, wenn Junk Loans nicht bis Ende des Monats auf Sofr umgestellt sind. Schließlich sehen viele Kreditvereinbarungen für diesen Fall zwar Notfallbestimmungen vor, häufig bestehen diese aber in einem Rückfall auf die Prime Rates der beteiligten Finanzinstitute – und diese belaufen sich bei den US-Banken durchschnittlich auf 8,25%. Zum Vergleich: Die populärste Libor-Variante, der Drei-Monats-Dollar-Satz, lag am Mittwoch bei 5,56%, Sofr bei 5,05%. Auch wer keine Notfallbestimmungen in die Kreditkonditionen eingebaut hat, muss wohl mit höheren Zinsen rechnen. Ein massiver Anstieg der Referenzsätze ist naturgemäß nicht im Interesse der Schuldner, mittel- bis langfristig dürfte dies aber auch Belastungen für die Gläubiger mit sich bringen. Denn diese haben wenig von einer höheren Interbankenrate, wenn Kreditnehmer in Wahrheit gar nicht mehr in der Lage sind, Kuponzahlungen zu bedienen, und die Menge der Defaults anzieht.

Besonders absurd wäre diese Entwicklung, da die Libor-Transition bisher maßgeblich durch Streitigkeiten über wesentlich geringere Zinsdifferentiale aufgehalten wurde. Denn Gläubiger forderten Ausgleichszahlungen, um bei der Umstellung auf den niedrigeren Sofr nicht auf Zinserträge verzichten zu müssen. Das Fed-Komitee schlug „Credit Spread Adjustments“ von 0,26% vor, bindend war dieser Wert aber nicht. Gerade die Eigner von Collateralized Loan Obligations, in denen eine Vielzahl an Krediten gepoolt wird, pochten nachvollziehbarerweise auf höhere Zahlungen. Schuldner stemmten sich dagegen – zumal die von ihnen beanspruchten Hochrisikokredite mit variablen Zinssätzen ausgestattet waren und die Kuponverpflichtungen infolge der restriktiven Geldpolitik schon stark stiegen.

Der Kurs der Fed, die nun nach zehn Anhebungen am Stück eine Zinserhöhungspause beschlossen hat, erschwerte die Libor-Transition auch an anderer Stelle. Denn die angespannte Liquiditätssituation an den globalen Finanzmärkten lastet erheblich auf der Refinanzierungsaktivität. Auch die trübe Konjunkturstimmung und die jüngsten Verwerfungen im US-Bankensektor trugen zuletzt dazu bei, dass der Primärmarkt für Junk Loans über Monate brachlag. Die Idealvorstellung, Libor-gekoppelte Kredite im Rahmen der üblichen Refinanzierungsaktivitäten einfach durch neue, Sofr-gebundene Darlehen ersetzen zu können, ging damit nicht auf. Spätestens jetzt ist der Punkt gekommen, an dem solche Überlegungen ohnehin obsolet sind. Gläubiger und Schuldner müssen festgefahrene Positionen dringend aufgeben und vor dem 30. Juni Kompromisse ausarbeiten, um auf den letzten Drücker Verwerfungen im Hochzinsmarkt zu verhindern – und somit keine neuen Unsicherheiten im ohnehin angeschlagenen US-Bankensystem heraufzubeschwören.

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