Im BlickfeldLkw-Industrie

Die Zugkraft lässt nach

Die Nachfrage nach schweren Lkw hat sich in Europa abgeschwächt. Die Hersteller rechnen auch in Nordamerika mit einem Absatzrückgang in diesem Jahr. Bange ist ihnen dennoch nicht. Das hat triftige Gründe.

Die Zugkraft lässt nach

Die Zugkraft lässt nach

Die Nachfrage nach schweren Lkw schwächt sich ab. Warum den Truck-Herstellern dennoch nicht bange ist.

Von Joachim Herr, München

Nach drei Jahren mit außergewöhnlich viel Schub fehlt nun der Schwung. Der Nachfragemotor zieht nicht mehr richtig. Für die Käufer von Lkw hat das allerdings Vorteile: Die Hersteller müssen den Anstieg der Preise im Zaum halten, und die Wartezeiten für ein neues Fahrzeug haben sich verkürzt. Vor einem Jahr dauerte es sechs bis zwölf oder mehr Monate von der Bestellung bis zur Auslieferung. In diesem Frühjahr waren es je nach Modell im Durchschnitt noch drei bis fünf Monate, wie Inka Koljonen, die Finanzchefin von MAN, Anfang März berichtete.

Auch kurzfristig lassen sich mittlerweile kleinere Aufträge erfüllen, wenn es mal schnell gehen muss. „Wenn ein Kunde mehr braucht, können wir reagieren“, sagt Martin Daum, der Vorstandsvorsitzende von Daimler Truck. Schon seit Monaten ist Normalisierung das Schlüsselwort in der Lkw-Industrie. Der Auftragsberg, der sich wegen der Lieferengpässe von Halbleitern und einer Vielzahl anderer Komponenten angehäuft hatte, ist nur noch ein Hügel.

„Auf gutem Niveau“

Verglichen mit den Konjunkturtälern vergangener Jahre ist die Lage für die Branche freilich nach wie vor recht komfortabel. Christian Levin, der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen-Nutzfahrzeugholding Traton, spricht von einer Normalisierung auf solidem Niveau. Volvo-Chef Martin Lundstedt wählte die Formulierung „die Nachfrage habe sich in vielen Märkten auf gutem Niveau weiter normalisiert“. Damit das so bleibt, wäre in Europa jedoch eine Belebung der Nachfrage in der zweiten Hälfte dieses Jahres notwendig. Noch rechnet die Branche damit.

Brasilien ist eine Ausnahme

Kommt die Belebung, könnten die Prognosen eintreffen: Daimler Truck stellt sich in diesem Jahr auf einen Rückgang des Markts für schwere Lkw in Europa um etwa 12 bis 24% ein. Das wären 260.000 bis 300.000 verkaufte Fahrzeuge nach 342.000 im vergangenen Jahr. Einschließlich der kleinen und mittleren Klassen – Traton bezieht diese ein – waren es 387.000. Auf dieser Basis rechnet Traton mit 5 bis 15% weniger in diesem Jahr.

In Nordamerika erwartet Daimler Truck einen Rückgang von 331.000 schweren Lkw im Vorjahr auf 280.000 bis 320.000. Das wären 3 bis 15% weniger. Minus 5 bis 15% schätzt Traton dort für den weiter gefassten Markt. 445.000 Einheiten waren es 2023. Für Südamerika reicht die Spanne des Münchner Konzerns von Stagnation bis plus 10%. Lebhaft ist das Geschäft in Brasilien, dem größten Markt auf dem Subkontinent. 2023 war er geschrumpft, nachdem es Vorzieheffekte wegen einer strengeren Abgasnorm gegeben hatte. Jetzt geht es schwungvoll in die andere Richtung.

„Viele Gespräche, kein Handeln“

Vor allem in Europa warten die Kunden aber mit dem Kauf von Lkw ab. In dem zuletzt immer stärker eingetrübten wirtschaftlichen Umfeld zögerten sie mit Investitionen, berichtet ein Sprecher von MAN, einer der vier Marken von Traton. Daimler-Truck-Chef Daum brachte es vor kurzem auf den Punkt: „Im Moment viele Gespräche, kein Handeln: Das ist die Zusammenfassung unserer Kundenbeziehungen.“

Die Schwäche in Europa könnte sich entgegen den Erwartungen ausweiten. Doch davor scheint es der Branche nicht bange zu sein. Die Unternehmen haben ihre vielbeschworene Resilienz gestärkt. Die Kosten wurden gesenkt. Zudem stützen sich die Hersteller auf flexible Produktionsnetzwerke. MAN hat im vergangenen Jahr ein Restrukturierungsprogramm mit einer Neuordnung des internationalen Fertigungsverbunds und einem Stellenabbau abgeschlossen. Es war nicht das erste Programm dieser Art, doch nun soll die Profitabilität auch in schwierigen Zeit auf einem auskömmlichen Niveau bleiben.

Flexibel dank Arbeitszeitmodellen

MAN ist nach eigener Einschätzung „deutlich robuster aufgestellt als in den Jahren zuvor“. Zudem teilt das Münchner Unternehmen auf Anfrage mit, in der Produktion frühzeitig auf den Rückgang der Nachfrage nach Lkw reagiert zu haben. Dazu würden Flexibilisierungsinstrumente wie Gleitzeitkonten genutzt und die „Fahrweisen“ angepasst. Zum zweiten Punkt gehört das Reduzieren von Arbeitsschichten.

Ähnliches ist von Daimler Truck zu hören: „Wir können unsere Fahrweise in der Produktion bei Bedarf kurzfristig anpassen.“ Als Beispiele für Instrumente nennt ein Sprecher unterschiedliche Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitkonten. Zudem seien rund um Ferien- und Brückentage produktionsfreie Tage geplant. Das gehört allerdings zur üblichen Programmplanung und wurde auch in den vergangenen Jahren genutzt.

„Das ist in unserer DNA“

„Eine flexible Produktion ist für uns nichts Neues“, sagt Vorstandschef Daum. „Das ist in unserer DNA.“ Mehr Kopfzerbrechen bereitet ihm der Wandel zu emissionsfreien Antrieben: „Wir wissen nicht, welche Technologie sich durchsetzen wird.“ Das sei vor allem eine Frage verfügbarer grüner Energie.

Volvo hat in den ersten drei Monaten dieses Jahres die Produktionskapazitäten in Europa schon schrittweise reduziert. Im aktuellen Quartal soll wieder ein Gleichgewicht erreicht werden. Die Konzernmarke Mack Trucks in Nordamerika dagegen nahm Aufträge weiterhin nur restriktiv an. Der Auftragsbestand reicht dort weiter als in Europa. Volvo begründet dies zum Teil mit Streiks im November des vergangenen Jahres. Damit habe sich die Produktion schon verkaufter Lkw ins Jahr 2024 verschoben.

Zum Stichwort Resilienz heißt es von Daimler Truck: „Wir sind entschlossen, unsere Widerstandsfähigkeit generell zu verbessern, um eine gesunde Performance zu gewährleisten.“ Das Unternehmen setze „auf kontinuierliches Fixkostenmanagement und Maßnahmen zur gezielten Effizienzsteigerung, um Kosten zu reduzieren und die Rentabilität zu steigern“.

Das Busgeschäft erholt sich

Zudem profitiert die Branche vom anziehenden Busgeschäft. Während der Corona-Pandemie war der Verkauf von Reisebussen fast zum Erliegen gekommen. Seit einiger Zeit erholt sich diese Sparte. Im ersten Quartal 2024 steigerte etwa Daimler Buses den Umsatz um 24% und die um Sondereffekte bereinigte Umsatzrendite vor Zinsen und Steuern von 1% ein Jahr zuvor auf 5%.

MAN berichtet zudem von einer unverändert hohen Nachfrage in den anderen beiden Geschäftsfeldern Vans und Engines. Zur Produktpalette von Engines gehören Diesel- und Gasmotoren – außer für Nutzfahrzeuge zum Beispiel für Landmaschinen, Schienen- und Wasserfahrzeuge sowie für die Stromerzeugung und Kraft-Wärme-Kopplung. „Dies hilft, die aktuelle Schwäche im Truck-Segment etwas abzufedern.“

Analysten erwarten Aufwärtszyklus

Diese Schwäche wird nach Einschätzung von Aktienanalysten gar nicht so lange dauern. Die Experten der DZ Bank rechnen mit einem neuen Aufwärtszyklus der Nachfrage nach dem Übergangsjahr 2024. Ein hohes Wachstum erwartet das Analysehaus Jefferies. Die Begründung von beiden: Strengere Emissionsrichtlinien in den USA und Europa werden in den kommenden Jahren Kunden dazu bewegen, Käufe vorzuziehen.

In der EU sollen voraussichtlich von Mitte 2028 an neu zugelassene schwere Lkw und Busse weniger Schadstoffe als bisher ausstoßen. Dann gilt die Abgasnorm Euro 7, die als Nebeneffekt die Fahrzeuge teurer machen wird. In den USA hat die Umweltschutzbehörde EPA neue Vorschriften für die Modelljahre 2027 bis 2032 festgelegt.

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