Die Londoner U-Bahn, eine rollende Katastrophe
NOTIERT IN LONDON
Eine rollende Katastrophe
Von Andreas Hippin
Die „Tube“, wie die U-Bahn von Londonern genannt wird, gehört zu den Wahrzeichen der britischen Metropole. Ihre blau-weiß-roten Waggons haben einen ähnlichen Wiedererkennungswert wie die roten Telefonzellen und die runden Briefkästen der Royal Mail. Und sie sind ebenso hoffnungslos veraltet. Wie Londons Bürgermeister Sadiq Khan in einem Interview für „Ladbible“ offenbarte, nutzen die Mechaniker des Nahverkehrsbetreibers Transport for London (TfL) Ersatzteile aus dem Fahrzeugbestand des London Transport Museum, um damit Züge der Bakerloo Line zu reparieren. Sie befördert jährlich mehr als 111 Millionen Passagiere.
Sadiq KhanDie Züge der Bakerloo Line stammen aus dem Jahr 1971. Sie sind die ältesten Züge im ganzen Land.
„Die Züge der Bakerloo Line stammen aus dem Jahr 1971“, sagte Khan. „Sie sind die ältesten Züge im ganzen Land.“ Das Unternehmen, das die Ersatzteile lieferte, gebe es nicht mehr. Am schlimmsten seien die Zustände, mit denen sich die Passagiere der Central Line herumärgern müssen. Jahrzehntelang wurde nicht nennenswert in die Strecke investiert. Im Sommer werden extreme Temperaturen erreicht. Die Züge sind nicht klimatisiert. „Es ist heiß, ein Großteil verläuft unterirdisch“, sagte Khan. „Das führt zu realen Temperaturen, die für die Menschen sehr schwierig sind.“
Schatzamt zeigt wenig Entgegenkommen
Mit Hilfe der Regierung könnte man in die U-Bahn investieren. Die Northern Line, die früher als „Misery Line“ bekannt war, habe sich nach entsprechenden Anstrengungen enorm verbessert, sagte Khan, der sie für den Weg zur Arbeit nutzt. Doch im Schatzamt gibt es wenig Entgegenkommen für den Labour-Politiker, der es sich trotz der Finanznöte von TfL mit den Mitarbeitern nicht verscherzen will. Sie genießen im Vergleich zu Beschäftigten der Privatwirtschaft eine ganze Reihe von Privilegien.
Renitente Belegschaft
Bei den Tories gibt es wenig Sympathien für die hochgradig organisierte Belegschaft, die Boris Johnson in seiner Zeit als Londoner Bürgermeister immer wieder einen Strich durch die (Spar-) Rechnung machte, etwa als es um die Einführung fahrerloser Züge ging. Doch den Mitarbeitern ist es zu verdanken, dass die U-Bahn trotz der überalterten Infrastruktur sicher betrieben werden kann.
Abhängig vom Beförderungsentgelt
Vergleichbare Nahverkehrsunternehmen in Paris oder New York müssen lediglich gut ein Drittel der Kosten durch Beförderungsentgelte bestreiten. In London liegt dieser Anteil doppelt so hoch. Nach Ausbruch der Pandemie brach das Passagieraufkommen zusammen, nach den Lockdowns blieb es unter dem Vorkrisenniveau. Denn viele Hauptstadtbewohner blieben nach Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen lieber zu Hause. Bis heute können viele einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit aus dem Homeoffice bestreiten – vor allem im öffentlichen Dienst, aber auch bei Banken und Versicherungen.
Befristete Finanzierungszusagen
Vor zwei Jahren drohte Khan damit, eine ganze Linie stillzulegen. Das Angebot könnte wieder so schlecht werden wie einst in den 1970er- und 1980er-Jahren, wenn der Nahverkehrsbetreiber von der Zentralregierung weiter ausgehungert werde. Es folgte eine Reihe von zeitlich befristeten Finanzierungszusagen. Der jüngste Deal, auf den man sich im August vergangenen Jahres geeinigt hatte, läuft noch bis März 2024.
Finanzierungslücke von 20 Mrd. Pfund
Die Nationale Infrastrukturkommission (NIC) hat nun festgestellt, dass Finanzierungszusagen für fünf Jahre notwendig sind, um TfL die nötige Sicherheit für dringend nötige Investitionen in Züge und die Erneuerung der veralteten Signalanlagen zu geben. Gewisse Aspekte der Signaltechnik der Piccadilly Line stammen noch aus den 1950er-Jahren. Das sorgt dafür, dass auf der Linie weniger Züge fahren, als eingesetzt werden könnten. In einem aktuellen Bericht beziffert die Kommission die in den kommenden 20 Jahren auflaufende Finanzierungslücke des Nahverkehrsbetreibers auf 20 Mrd. Pfund.
Vor zwei Jahren hatte bereits ein Bericht von London First und Arup festgestellt, dass bis zu 2 Mrd. Pfund pro Jahr fehlen. Zu den kreativen, aber unrealistischen Lösungsvorschlägen für die Finanzprobleme gehörte, die Kfz-Steuer durch ein Mautsystem zu ersetzen.