Allianz

Mehr als ein Hedgefonds

Die Allianz räsoniert, ob ihr Industrieversicherer noch einen Platz im Konzern hat. Dies ist ein Fehler. Der Wert der AGCS misst sich nicht nur an Kapitalrendite.

Mehr als ein Hedgefonds

Vorstandsvorsitzende müssen Druck machen. Das gehört zu ihrem Job. Allianz-Chef Oliver Bäte allerdings hat im Juli einen außergewöhnlichen Weg gewählt. Coram publico zweifelte er die Existenzberechtigung des hauseigenen Großindustrie-Versicherers an. Es sei offen, ob Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) zu den Ergebnissen komme, die man brauche, sagte er in einem Interview des „Versicherungsmonitors“. Er formulierte eine Art Bewährungsfrist von zwei Jahren. Seitdem wird öffentlich diskutiert:  Was bringt die Industrieversicherung der Allianz?

Diese Frage ist nicht neu. Bereits Henning Schulte-Noelle hatte als Allianz-Chef über ein Einstampfen nachgedacht, schließlich wurde nur einmal in der Dekade vor dem Jahr 2002 ein Gewinn erwirtschaftet. Der Konzern entschied sich stattdessen, die auf Ländergesellschaften verteilten Aktivitäten 2006 in der AGCS zu bündeln. Der Lohn der Mühe waren hohe Gewinne bis zum Jahr 2014. Seitdem aber sieht es erneut düster aus: Jahr für Jahr gibt AGCS für Schäden und Kosten mehr aus, als Beiträge eingenommen werden – so wie die Konkurrenz teils auch.

Die Allianz hatte im Dezember 2019 die Nase voll. Seitdem richtet Joachim Müller die AGCS neu aus. Der CEO lässt kaum einen Stein auf dem anderen. AGCS hat sich aus unprofitablen Ländern und Marktsegmenten zurückgezogen und sucht nach angemesseneren Preisen für die Risiken. Das erste Halbjahr 2021 dürfte Ergebnisse zeigen. Müller konnte aber nicht verhindern, dass die Pandemie das Jahr 2020 ebenfalls zu einem Verlustjahr machte.

Angesichts der unseligen Tradition roter Zahlen ist die Unzufriedenheit von Bäte grundsätzlich begründet. Mehr noch: In diesem Markt gibt es strukturelle Profitabilitätshürden. Die Marktmacht der Makler und Blue Chips ist hoch, der intensive Wettbewerb drückt zusätzlich auf die Preise. Tarifanpassungen auf Tagesbasis und ausgerichtet auf Zielgruppen sind anders als im Privatkundengeschäft unmöglich. Es herrscht außerdem eine gewaltige Ergebnisvolatilität wegen Großschäden. Die Folge: Die Eigenkapitalrendite dürfte über den Mehrjahresschnitt geschätzt nur 8% bis 10% betragen.

Trotzdem ist Bätes externe Positionierung überflüssig. Erstens ist der Druck auf die AGCS sowieso ausreichend groß, dafür sorgt nicht zuletzt das neue Management. Zweitens stimmt die gesetzte Zweijahresfrist – die rechtzeitig vor dem Auslaufen von Bätes zweiter Amtsperiode endet – sowieso mit der öffentlichen zeitlichen Zielsetzung von Müller & Co. überein. Der Mehrwert der Fristsetzung ist also nicht erkennbar. Schlimmer noch: Das Bäte-Statement richtet Schaden an. Die langfristig planende AGCS-Kundschaft fragt irritiert nach, ob die kapitalstarke Allianz sich davonstehlen könnte – und überlegt, ob Konkurrenten vielleicht verlässlicher sind. Sollte sich die Allianz in zwei Jahren wirklich zu einem AGCS-Verkauf entschließen, ist das Asset außerdem unnötig schlechtgeredet.

Trotzdem wäre das Kapital an anderer Stelle profitabler eingesetzt. Schließlich zielt die Allianz SE auf eine Eigenkapitalrendite von 13% im Schnitt der Aktivitäten. AGCS wird diesen Wert wohl auch dann verwässern, wenn die kapitalabsorbierende Volatilität der Ergebnisse wie geplant halbiert und die Kapitalstruktur verbessert wird.

Doch kann und sollte die Allianz deswegen wie ein Hedgefondsmanager handeln? Nein, denn die Kapitalallokation ist nur ein Aspekt. Kompetenz hat ebenfalls einen Wert. Ein Multi mit dem Anspruch der Allianz muss auch Firmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 500 Mill. Euro ein Angebot in der Sachversicherung machen können, sonst geht der Kunde vielleicht auch mit anderen Policen wie einer betrieblichen Krankenversicherung zur Konkurrenz. Wichtiger noch sind die Synergien mit dem Firmenkundengeschäft, also mit der Versicherung von kleineren Unternehmen. Die Themen im Mid-Corp-Segment gleichen den Herausforderungen von Großkonzernen. Sie reichen von den Folgen der Klimaveränderung über die Einschätzung neuer Technologien bis hin zu Lieferkettenrisiken. Hier lässt sich Know-how skalieren. Zudem gilt in der Praxis: Sollte AGCS verkauft sein, werden die Allianz-Gesellschaften die Mid-Corp-Grenze wieder fröhlich in den Milliarden-Umsatz-Bereich verschieben und Risiken so unkontrollierter als bisher anhäufen.

Der Allianz-Industrieversicherer sollte natürlich wenigstens die Kapitalkosten verdienen. Ebenso wichtig ist aber, dass sich die AGCS mit ihrem Spezialwissen stärker als aktiver Teil der Allianz-Gruppe versteht und so Mehrwert schafft.