LeitartikelBörsenstreit

Mehr als eine läppische Episode

Nach sechs Jahren Börsenstreit weiß man in der Schweiz: Das Äquivalenzprinzip der EU ist vordergründig ein sachliches, effektiv aber ein politisches Instrument. Dem Ziel einer Annäherung der Schweiz an die EU ist die Erkenntnis abträglich.

Mehr als eine läppische Episode

Börsenstreit

Mehr als eine läppische Episode

Von Daniel Zulauf

Das Äquivalenzprinzip der EU ist vordergründig ein sachliches, effektiv aber ein politisches Instrument. So wird das wohl wieder nichts zwischen der EU und der Schweiz.

Die Schweiz und die EU bilden seit 25 Jahren eine Zweckgemeinschaft. Die Beziehungen zwischen Brüssel und Bern sind strikt nutzenorientiert. Ein ganzes Bündel von bilateralen Verträgen sorgt für den Interessenausgleich zwischen den Parteien.

Dass solche Verträge in einer sich laufend wandelnden Welt in regelmäßigen Zeitabständen ergänzt und bisweilen auch grundlegend erneuert werden müssen, versteht sich von selbst. Eben erst haben sich die Schweizer Regierung und die EU in langen und zähen Verhandlungen auf ein neues Vertragswerk geeinigt. Das letzte Wort dazu wird die Schweizer Bevölkerung haben.

Schwelender Börsenstreit

Brüssel scheint der neue Vertrag zu behagen. Die Signale aus der EU-Hauptstadt sind deutlich: Man möchte unbedingt, dass er mit dem Plazet der Schweizer Stimmbürger ratifiziert werden kann. Je nach Abstimmungsfahrplan könnte es 2028 dazu kommen – oder auch nicht.

Welche Argumente bis dahin im innenpolitischen Entscheidungsprozess überwiegen werden, ist unsinnige Spekulation. Nicht spekulativ ist hingegen die Erwartung, dass die Chancen auf eine gedeihliche Fortsetzung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU steigen, wenn der Interessenausgleich in einem Klima des Wohlwollens stattfinden kann.

Indessen deuten aktuelle Entwicklungen eines seit sieben Jahren schwelenden Börsenstreites in beispielhafter Weise auf ein nach wie vor frostiges Klima zwischen Bern und Brüssel hin. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dieser Streit seit dem Austritt Großbritanniens aus der EU materiell bedeutungslos geworden ist.

Keine gleichwertige Börsenregulierung

Zwar hat Brüssel vor einem Jahr in stiller Weise die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, dass europäische Händler Schweizer Aktien wieder auf Schweizer Börsenplätzen handeln dürfen, was eigentlich die Anerkennung einer gleichwertigen Börsenregulierung voraussetzen würde. Aber Brüssel verweigert der Schweiz die offizielle Anerkennung dieser Gleichwertigkeit bis heute, obwohl sie seit vielen Jahren auch in der EU von niemandem ernsthaft in Zweifel gezogen wird.

Die Verweigerung der Äquivalenzanerkennung hat zur Folge, dass die Schweiz ihre seit fünf Jahren geltende Gegenmaßnahme aufrechterhält und EU-Händlern verbietet, Schweizer Wertpapiere auf Börsen in der EU zu handeln.

Allein in London

Ironischerweise ist der Streit nur ein Schattenboxkampf. Denn wenn Schweizer Aktien im Ausland gehandelt werden, dann geschieht dies seit dem Brexit wieder, wie vor dem Streit, allein in London und nicht in Frankfurt oder Paris.

Die Schweizer Regierung will nun prüfen, ob sie die Gegenmaßnahme quasi als Geste des Wohlwollens aufheben kann – in der Erwartung, dass Brüssel das Äquivalenz-Plazet doch noch erteilt. Aber so lässt sich gewiss kein günstiges politisches Klima für einen neuen Vertrag zwischen der EU und der Schweiz schaffen.

Umso weniger, als die EU den Streit 2018 vom Stapel gerissen hatte, um politischen Druck zu erzeugen, damit die Schweiz ein höchst unbeliebtes institutionelles Rahmenabkommen mit der EU unterzeichnet, das dann auch bald zur Makulatur geworden war.

Kaum große Chancen

Ohne gegenseitiges Wohlwollen hat der neue Vertrag Schweiz-EU an der Urne kaum größere Chancen als das seinerzeitige Rahmenabkommen, das es nicht einmal bis zur Abstimmung schaffte. Die Voraussetzungen sind nicht vielversprechend.

Der läppische Börsenstreit und die Weigerung Brüssels, die Regulierungsäquivalenz anzuerkennen, ist eine kleine Episode, die aber tief blicken lässt. Die Schweiz hat gelernt: Das Äquivalenzprinzip, mit dem die EU die Beziehungen zu Drittstaaten im Finanzbereich steuert, ist ein vordergründig sachliches Instrument, das Brüssel aber jederzeit politisch einzusetzen bereit ist. Ist das ein Klima, in dem man gerne Verträge unterschreibt?

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.