Mehr Konkurrenz bei Frachtflugzeugen
Von Gesche Wüpper, Paris
Es ist der einzige Lichtblick in der Branche seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Während der Passagierverkehr nach wie vor unter der Krise leidet, konnte das Luftfrachtgeschäft in den ersten sechs Monaten nach Angaben des Branchenverbandes IATA (International Air Transport Association) um 8% zulegen und damit das beste Ergebnis in einem ersten Halbjahr seit 2017 erzielen. Alles deute darauf hin, dass sich das Wachstum in den nächsten Monaten fortsetze, meint der Verband.
Airbus bisher außen vor
Während Boeing an dem Wachstum teilhaben konnte, ist Airbus auf dem Markt für Frachtflugzeuge ziemlich außen vor. Bisher. Denn der Verwaltungsrat des europäischen Flugzeugbauers hat gerade den Startschuss für eine Frachtversion seines neuesten Langstreckenmodells A350 gegeben. Es soll nach Angaben von Konzernchef Guillaume Faury 2025 in Dienst gestellt werden. Von wem, ist bisher noch nicht bekannt, denn noch hat Airbus weder den Namen des Erstkunden noch Bestellungen für das geplante Modell bekannt gegeben. Auch wie viel das neue Modell kosten wird und wie hoch die erforderlichen Investitionen sind, teilte Airbus nicht mit.
Bisher dominiert Boeing den Markt für Frachtflugzeuge zu 80%. Der US-Flugzeugbauer ist mit seinen Modellen in allen drei Kategorien zu finden, während Airbus lediglich mit dem A320 in der Standardkategorie mit einer Nutzlast bis 45 Tonnen und mit dem A330 in der mittleren Kategorie mit einer Nutzlast von 40 bis 80 Tonnen vertreten ist. Dagegen gibt es in der Standardkategorie gleich fünf Modelle von Boeing (727, 737, 757, MD-80, DC-9), in der mittleren Kategorie zwei (767, DC10) und in der großen Kategorie mit einer Nutzlast über 80 Tonnen drei (747, 777, MD-11).
Der russische Flugzeugbauer Iljuschin wiederum ist für sein Modell IL-76TD mit einer maximalen Nutzlast von 48 Tonnen bekannt und die IL-96TD in der höheren Kategorie. Die An-124 von Antonow aus der Ukraine, eines der größten Flugzeuge der Welt, ist für große und voluminöse Transporte beliebt.
Die geplante Frachtversion des A350 soll nach Angaben von Airbus-Chef Faury ein Derivat der beiden Versionen des Langstreckenjets werden, vor allem aber auf der größeren Variante A350-1000 basieren. Sie soll eine maximale Nutzlast von mehr als 90 Tonnen haben. Damit würde das Airbus-Frachtflugzeug direkt mit der 777F von Boeing konkurrieren, für die der US-Flugzeugbauer seit 2005 insgesamt 254 Bestellungen eingeflogen hat.
Da 2028 strengere Umweltauflagen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation der Vereinten Nationen ICAO in Kraft treten, wäre eine Frachtversion des neuen Langstreckenjets 777X aus Sicht von Boeing-Chef Dave Calhoun ein logischer Schritt. Denn die neuen Regeln dürften die Produktion der 777F und der 767F beeinträchtigen. Die neue 777X dürfte ihre Zulassung nicht vor Mitte oder Ende 2023 erhalten. Die Entwicklung einer Frachtversion dürfte weitere Jahre dauern. Boeing fühlt jedoch bereits bei potenziellen Kunden wie Qatar Airways nach Interesse für eine Frachtversion vor. Der Golfcarrier ist größter A350-Kunde und wird als potenzieller Erstkunde für die Frachtversion des A350 gehandelt, da er erwägt, bei Airbus oder eben Boeing mindestens 30 Frachtflugzeuge zu bestellen.
Frachtflugzeuge machen zwar nach Angaben von Boeing nur 8% der weltweiten Flugzeugflotte aus, jedoch 50% des internationalen Frachtverkehrs. Zumindest bis Ausbruch der Coronakrise machten die Bäuche von Passagierflugzeugen den Rest aus. Da die Airlines wegen der Corona-Beschränkungen einen Teil ihrer Flotte stilllegten und Verbindungen strichen, brach die Kapazität des Luftfrachtgeschäfts laut IATA 2020 um 21,4% ein. Im Juni lag sie noch immer um 10,8% unter dem Vorkrisenniveau von 2019.
Nachdem der Luftfrachtverkehr in der Zeit von 2009 bis 2019 im Schnitt um 4,3% jährlich gewachsen ist, dürfte er jüngsten Prognosen zufolge im nächsten Jahrzehnt angesichts der Zunahme des Internethandels erneut um 4% jährlich zulegen.
Von 2010 auf 3260 Flieger
Boeing geht in ihrem Ausblick für das Frachtsegment davon aus, dass sich die weltweite Flotte von 2010 Frachtflugzeugen bis 2039 auf 3260 erhöhen wird. Der US-Flugzeugbauer erwartet, dass 1180 ältere und weniger effiziente Maschinen außer Dienst gestellt werden und 830 Exemplare in der Flotte verbleiben. Von den insgesamt 2430 benötigten neuen Exemplaren dürften 1080 auf die Standardkategorie entfallen, 480 auf die mittlere, 420 auf die große, und bei 450 Stück dürfte es sich um speziell als Frachtflugzeuge entwickelte Großraummodelle handeln.
Airbus-CEO Faury zumindest sorgt sich nicht, dass sich der Markt für Frachtflugzeuge nach der Erholung der Branche und der damit einhergehenden stärkeren Nutzung der Bäuche von Passagiermaschinen verschlechtern könnte. Ab Mitte des Jahrzehnts dürften viele Frachtflieger in den Flotten durch neue Exemplare ersetzt werden, glaubt er. Deshalb sei der Zeitpunkt für den Start des A350-Frachters gut, da er dann gegen ältere Modelle als einziges Frachtflugzeug der neuen Generation antreten würde.