KommentarFinanzplatz London

Wenn immer mehr abwandern

Shell winkt mit dem Zaunpfahl. Für BP gibt es angeblich Interessenten. Die London Stock Exchange tut sich schwer, den Exodus zu stoppen.

Wenn immer mehr abwandern

Finanzplatz London

Wenn immer mehr Firmen abwandern

Von Andreas Hippin

Shell winkt mit dem Zaunpfahl. Für BP gibt es angeblich Interessenten. Londons Börse tut sich schwer, den Exodus zu stoppen.

Die London Stock Exchange hat ein Standortproblem. Die Hoffnung, dass mit Jeremy Hunt und Rishi Sunak die Erwachsenen in Westminster das Steuer übernommen haben und die politischen Turbulenzen damit beendet sind, hat sich nicht erfüllt. Unternehmen der Energiewirtschaft fehlt Planungssicherheit. Zu unberechenbar ist die Steuerpolitik. Unter einer Labour-Regierung dürfte die Öl- und Gasbranche noch stärker zur Kasse gebeten werden. Und die viel beschworene Liquidität ist nicht im nötigen Umfang vorhanden, wenn man sie braucht.

Höhere Bewertungen

Kein Wunder also, dass Shell-Boss Wael Sawan mit der Wall Street liebäugelt. Dort erreichen Ölkonzerne weitaus höhere Bewertungen. Dabei hatte das Unternehmen erst 2021 seine duale Struktur zugunsten der britischen Metropole aufgegeben. Doch niedrige Bewertungen ziehen Firmenjäger an. Sie sorgen für Unzufriedenheit unter den Anteilseignern und ermutigen zu Aktionärsrevolten. In den USA wird die Branche nicht dämonisiert. Wenn es darum geht, Klimaziele zu erreichen, ist die Herangehensweise dort eher konstruktiv. In Europa trennt man sich einfach von den Aktien der Klimasünder. Zudem macht man es ihnen mit Desinvestitionskampagnen schwer, Kapital einzusammeln.

Übernahmespekulationen um BP

Für London wäre die Abwanderung von Shell ein Riesenproblem, zumal auch noch bekannt wurde, dass sich die staatliche Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate vor kurzem für BP interessierte. Im FTSE-100-Index hat Shell das größte Gewicht. Die beiden Ölkonzerne zusammen kamen Ende März auf 12,75%. Sie tragen auch erheblich zum Dividendenaufkommen bei.

Nicht nur Standardwerte verabschieden sich

Ferguson und CRH haben sich bereits nach New York verabschiedet. Die Glücksspielfirma Flutter denkt darüber nach. Tui will zurück nach Deutschland. Der Exodus beschränkt sich nicht auf Standardwerte. Am Wachstumssegment AIM kündigten zuletzt E-Therapeutics, Redx Pharma und C4X Discovery an, den Markt zu verlassen. Der Chipdesigner Arm entschied sich im vergangenen Jahr für ein IPO an der Nasdaq. In London gingen Tiefflieger wie Deliveroo an die Börse.

Governance ist kein Selbstzweck

Die Zahl der börsennotierten Gesellschaften sinkt auch anderswo. Doch die britische Regierung hat die Chance zur Entbürokratisierung verschenkt, die sich durch den Brexit bot. Governance und Anlegerschutz sind wichtig, aber kein Selbstzweck. Londons Börse hat den Schaden, ohne etwas an den Ursachen ändern zu können.

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