Neuwahlen als Flucht nach vorn
Großbritannien
Ein Schrecken ohne Ende
Von Andreas Hippin
Rishi Sunak tritt die Flucht nach vorn an. Sein Vorteil ist, dass Labour auch nicht mehr verspricht als Kontinuität.
Der britische Premier Rishi Sunak hat die Flucht nach vorn angetreten. Er setzte für den 4. Juli Neuwahlen zum Unterhaus an. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, könnte man mit Blick auf die verheerenden Umfragewerte der Tories denken. Doch natürlich hat sich der ehemalige Investmentbanker etwas dabei gedacht.
Die schlechte Nachricht zuerst: Steuersenkungen oder eine weitere Senkung der Sozialversicherungsbeiträge wird es nicht geben. Sunak will nicht bis November warten, weil er weiß, dass Schatzkanzler Jeremy Hunt in seinem Haushalt im Herbst keinen Spielraum für Wahlgeschenke haben wird. Die Neuverschuldung ist dafür zu hoch. Der Internationale Währungsfonds hatte zuletzt ausdrücklich vor Steuersenkungen gewarnt.
Sunak nutzt Schönwetterphase
Es bringt also keinen Vorteil für Sunak, der Opposition mehr Zeit zu geben, sich auf die Wahlen vorzubereiten. Derzeit überwiegen zumindest mit Blick auf die Wirtschaftsentwicklung die guten Nachrichten. Die Inflation nähert sich dem Zielwert der Bank of England. Die Rezession, die das zweite Halbjahr 2023 prägte, ist überwunden. Die Nettozuwanderung ist um ein Zehntel zurückgegangen. Die ersten Abschiebeflüge nach Ruanda könnten demnächst abheben.
Sunak kann also behaupten, zumindest einen Teil der Versprechen, an denen er sich messen lassen wollte, erfüllt zu haben. Seine Frage an die Wähler lautet: Wollt ihr die unter großen Opfern gemachten Fortschritte etwa aufgeben? Zudem übt er sich in Schadensbegrenzung. Über den Sommer hätte viel passieren können: von weiter anschwellenden Wartelisten im öffentlichen Gesundheitswesen NHS bis zu einer Zunahme der unkontrollierten Einwanderung über den Ärmelkanal.
Starmer macht keine Hoffnung
Würde sich Labour nicht als Hüterin der wirtschaftlichen Stabilität, sondern als echte Alternative präsentieren, wäre es leichter, an den allerorten prognostizierten Wahlsieg Keir Starmers zu glauben. Eine kompetentere Elendsverwaltung zu versprechen macht Menschen aber keine Hoffnung. Wenn sie nicht zur Wahl gehen, weil ihnen auch Starmer keinen Ausgleich für die Realeinkommensverluste der vergangenen Jahre bieten kann, hat Sunak eine Chance.
Zwar hat noch kein Premier mit 20 Prozentpunkten Rückstand in den Umfragen eine Wahl gewonnen. Aber Theresa May schaffte es mit einem noch größeren Vorsprung beinahe, gegen Jeremy Corbyn zu verlieren. Den Gegnern der Tories könnte also ein Schrecken ohne Ende drohen.