LeitartikelReue nach der Wahl

Labour erweist sich als Mogelpackung

Labour wirkt schon wenige Wochen nach dem Amtsantritt verbraucht. Es fehlt eine einende Vision, die soziale Grausamkeiten erträglicher machen würde.

Labour erweist sich als Mogelpackung

Reue nach der Wahl

Labour erweist sich als Mogelpackung

von Andreas Hippin

Wer an einen Neuanfang
in Großbritannien unter Labour glaubte, wurde bitter enttäuscht. Die Partei hat kein Konzept dafür.

Drei Monate nach dem Amtsantritt von Premierminister Keir Starmer hat man nicht das Gefühl, dass es in Großbritannien so etwas wie einen Neuanfang gegeben hat. Auf dem Labour-Parteitag im Liverpool war keinerlei Euphorie zu spüren. Die Stimmung wurde dem Umstand nicht gerecht, dass man die Tories nach 14 Jahren mit großer parlamentarischer Mehrheit aus der Downing Street verdrängen konnte. Die neue Regierungsmannschaft wirkte so verbraucht, als führte sie schon seit ein paar Jahren die Geschäfte.

Das mag daran liegen, dass sie ebenso wenig einen Plan dafür hat, die Probleme des Landes zu lösen, wie ihre Vorgänger. Im Wahlkampf gegen die von Skandalen und internen Grabenkämpfen erschütterten Konservativen war es nicht nötig, die Karten auf den Tisch zu legen. Es reichte aus, Kompetenz zu verströmen. Starmer als ehemaliger Chefankläger und Rachel Reeves als einstige Mitarbeiterin der Bank of England waren dafür wie geschaffen.

So opportunistisch wie die Vorgänger

Nachdem sie die Schalthebel der Macht übernahmen, zeigte sich, dass sie ebenso opportunistisch agieren wie die Tories. Starmers fünf programmatische Ansagen waren so wolkig, dass sie umgehend in Vergessenheit gerieten. Wer immer noch glaubte, Labour sei die Interessensvertretung der Arbeiterschaft, wurde ebenso eines Besseren belehrt wie diejenigen, die der langjährigen Oppositionspartei moralische Überlegenheit zusprachen.

Zu den ersten Amtshandlungen von Reeves als Schatzkanzlerin gehörte, Rentnern den Heizkostenzuschuss zu streichen. Nur noch die Bedürftigsten sollen ihn bekommen. Das war angesichts der erneut steigenden Energiepreise an sozialer Grausamkeit schwer zu überbieten.

Zudem kann auf diese Weise bei weitem nicht genug eingespart werden, um das von ihr ausgemachte schwarze Loch in den öffentlichen Finanzen zu stopfen.

Beschleunigter Sozialabbau

Auf dem Labour-Parteitag forderte eine Mehrheit die Regierung auf, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Es wird sie nicht kümmern. Denn Starmer und Reeves gefallen sich in der Rolle, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Mit der Begründung, dass diejenigen, die breitere Schultern haben, auch größere Lasten stemmen müssen, lassen sich noch viele weitere Kürzungen rechtfertigen. Noch werden Brillen für Kinder vom National Health Service finanziert. In London fahren sie ebenso kostenlos mit dem Bus wie Rentner.

Höhere Studiengebühren

Einige Ideen der Parteispitze sind schon bekannt. Reeves brachte eine Erhöhung der Sozialmieten ins Spiel, um Investitionen in den Wohnungsbau zu fördern. Parteivize Angela Rayner will Probezeiten verlängern, um Arbeitgeber davon zu überzeugen, Menschen nach langer Arbeitsunfähigkeit einzustellen. Universitäten dürfen die Studiengebühren noch weiter nach oben schrauben.

Wenn Reeves Ende Oktober ihren Haushaltsentwurf vorstellt, dürfte das ganze Ausmaß des geplanten Sozialabbaus klar werden. Hätte Labour eine Vision, wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen soll, wäre vielleicht der eine oder andere noch bereit, das alles mitzutragen. Doch Gefängnisneubauten, Hochspannungsleitungen, Windräder und Billigwohnungsbau sind hässlich anzuschauen und reißen keinen vom Hocker.

Reichlich Sachgeschenke

Damit nicht genug: Die Berichte über Sachgeschenke von prominenten Spendern reißen nicht ab. Sind Starmer und seine Frau Victoria wirklich auf kostenlose Tickets für ein Konzert von Taylor Swift angewiesen? Sie hätten die Karten an ein Kind aus einer einkommensschwachen Familie weiterreichen können. Kann sich Starmer keinen Anzug leisten?

Sicher war nichts davon illegal. Doch wer sich als die moralinsaure Alternative zu Boris Johnson vermarktet, sollte nicht alles einstecken, was ihm angeboten wird. Schon gar nicht, wenn er sonst nicht viel zu bieten hat. Labour hat sich als Mogelpackung erwiesen. Rosie Duffield, die Unterhausabgeordnete für Canterbury, hat die Fraktion bereits verlassen. Der Führung gehe es um Gier und Macht, nicht darum, etwas zu ändern, lautete ihr Fazit.

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