Englands beste Strände
Notiert in London
Viva Skeg Vegas!
Von Andreas Hippin
Die besten Strände sind die, an denen man seinen Nachbarn nicht begegnet. Wer in der britischen Metropole lebt, läuft stets Gefahr, in Bournemouth oder Brighton der Compliance-Anwältin von nebenan in die Arme zu laufen. Oder dem Unternehmensgründer, der sich vor zwei Jahren die Heckenschere ausgeliehen hat und dessen Fähigkeit, Fördermittel aller Art abzugreifen, unübertroffen ist.
Mal ganz abgesehen davon, dass die ganze Atmosphäre in den Edel-Seebädern einem London-on-Sea entspricht. Kaum zu glauben, dass ein Kultfilm wie „Quadrophenia“ dort spielt. In den Cafés diskutieren gutsituierte Studierende über die neuesten identitätspolitischen Verirrungen, die über den Atlantik herüberschwappen. Eine Nacktdemo radelt vorbei. Es geht den Teilnehmenden um … ja was eigentlich?
Schlusslichter mit Charme
Wer das vermeiden will, fährt in die Orte, die bei den diversen Rankings der Badeorte an unterster Stelle stehen. Skegness an der Küste von Lincolnshire und Clacton-on-Sea, wo Nigel Farage zu den Unterhauswahlen antritt, waren die Schlusslichter einer Bewertung durch das Verbrauchermagazin „Which?“. Das mag daran liegen, dass zu den Kriterien gehörte, ob die Strände „friedlich und ruhig“ sind.
Gestressten Bankern aus London mag das wichtig sein. Doch Ruhe und Frieden sind den Eingeborenen nicht wichtig. Am Strand ist Jubel, Trubel, Heiterkeit angesagt. Wenn die Sonne scheint, packen sie Kinder, Eimerchen und Schäufelchen ein, und es kann losgehen. Am Pier gibt es Fish and Chips, Zuckerwatte und Eiscreme. Hier trifft sich die Dorfjugend an den Videospielautomaten. Das kann man sich auch als Geringverdiener noch leisten. Hier stellt man sich unter, wenn es, wie so oft, kurz regnet.
Bingo verbindet
Für Erwachsene gibt es diverse Glücksspielangebote, von Bingo bis zu den allgegenwärtigen Spielhallen. Skegness heißt nicht umsonst auch Skeg Vegas. Beim Bingo kann man jede Menge gut gelaunte alte Menschen treffen. Von ihnen kann man viel erfahren, vorausgesetzt, man bringt etwas Geduld und Interesse mit. All das gibt es auch in Hastings und anderen Orten am Meer.
Will man „total immersion“, übernachtet man in einem der zahllosen Trailer-Parks entlang der Küste. Viele sind zum festen Wohnsitz eines großen Teils ihrer Bewohner geworden, die sich nicht mehr leisten können.
Zeitreise in die 1970er Jahre
Es ist wie eine Zeitreise in die späten 1970er Jahre. Mancherorts gibt es noch Wimpy’s. Die britische Burgerkette hält nun bereits seit 70 Jahren dem Ansturm der US-Rivalen stand. Wer Sinn für eine Zeit mitbringt, in der man noch an den Fortschritt der Menschheit glaubte, kann selbst den futuristischen Händewaschstationen der verfallenden öffentlichen Toiletten etwas abgewinnen. Man würde sie eher in einem Raumschiff vermuten. Wer die besten Strände entdecken will, muss offen sein für andere. Dann ergeben sich auch mit Gesichtstätowierten interessante Gespräche.