Misstrauensvotum für den Weihnachtsmann
Weihnachten ist ein farbenfroher Konsumknaller. Chinesen mögen das. In Schanghaier Einkaufszentren, Restaurants und Coffeeshops sind der saisonalen Schmückungsorgie keine Grenzen gesetzt. Auch die Stadtverwaltung lässt sich nicht gerade lumpen, wenn es darum geht, Prunkstraßen in weihnachtlichen Lichterglanz zu tauchen. In der Nähe der berühmten Bundpromenade ist eine ganze Straße gesperrt worden, um als Weihnachtsmarkt mit westlichen Motiven und Fressalien herzuhalten. Was wiederum die musikalische Beschallung mit „Jingle Bells“, „Stille Nacht“, oder „Last Christmas“ angeht, wehe dem der keine Weihnachtsmusik mag, denn er wird nicht einmal im Fitnessstudio, Friseursalon oder im Gemüsemarkt davon verschont.
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Bei der chinesischen Regierung wird zwar mit einigem Wohlwollen auf die Weihnachtsindustrie und ihren wesentlichen Beitrag zur Exportdynamik des Landes und Anreicherung des heimischen Konsumspektrums geblickt. Allerdings landet man in Sachen Merry Christmas neben all den fröhlichen ornamentalen und kommerziellen Exzessen freilich irgendwann doch beim leidigen Bezug zum Christentum – einem Thema, bei dem die Pekinger Führung in der neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung wie bei allen Religionen immer weniger Spaß versteht.
Anfang Dezember hielt die Partei eine nationale Religionskonferenz ab, deren Erkenntnisse Präsident Xi Jinping in folgender froher Botschaft zusammenfasste: „Die Bestimmungen der Kommunistischen Partei zur Freiheit des religiösen Glaubens werden umfassend und akkurat implementiert und alle Religionsausübung muss der Tatsache angepasst werden, dass China ein sozialistisches Land ist. China besteht auf seinem Kurs der Sinisierung der Religion, bei dem sich die Masse der Gläubigen um die Partei und die Regierung herum vereint.“ Noch irgendwelche Fragen? Ach so ja, „Sinisierung“ bedeutet, eine gesellschaftliche Kultur chinesisch zu formen.
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Was mag der fromme Wunsch zur Überformung des Glaubens in Richtung Huldigung des Parteiapparats für die Zukunft des Weihnachtsrummels in China bedeuten? Bei dieser Frage lohnt es sich, aufs Erziehungswesen zu blicken. In diesem Jahr hat Chinas staatliche Propagandamaschine nicht nur erhebliche Fortschritte bei der Verbreitung von nationalistisch-patriotischem Gedankengut auf allen Onlinekanälen verzeichnen können. Man ist auch bei der Förderung einer Boykottstimmung für westliche kulturelle Werte gut vorangekommen. Als besonderer Coup gilt dabei, dass man im Rahmen der diesjährigen Regulierungskampagne für die Internet- und Technologiebranche auch dem Boomsektor der privaten Nachhilfekurse und Onlineschulungen für Kinder und Jugendliche weitgehend den Stecker gezogen hat.
Für Chinas aufstrebende Mittelschicht in den Großstädten gehört es längst zum guten Ton, ihre Zöglinge schon ab Kindergartenalter in Englischkurse zu schicken, die in Sprachschulen vor Ort oder online von Muttersprachlern, und damit ausländischen Lehrkräften abgehalten werden, die wiederum westliches Lehrmaterial verwenden. Damit wurden die Sprachschulen zum wichtigsten Bindeglied der „Infiltration“ chinesischer Kinder mit weihnachtlichen Motiven, die sich mit Begeisterung darangemacht haben, zu singen, zu malen, zu backen und zu basteln und selbstverständlich auch nichts gegen die Idee haben, dass Santa Claus gerne Geschenke an Kinder verteilt. Damit ist nun aber Schluss.
Selbst im modernen Schanghai sind Schulen und Kindergärten dazu angehalten worden, auf weihnachtliche Inhalte zu verzichten und keinerlei Feiern für Kinder mehr abzuhalten. Und was ist mit den lieben Eltern? Denen wird von Schulverwaltungen klargemacht, dass sie sich „politisch unkorrekt“ verhalten, wenn sie ihr Zuhause mit Christbäumen schmücken oder gar Geschenke darunterlegen. Und da sie befürchten müssen, dass sich glücklich beschenkte Kinder nachher in der Schule verplappern könnten, hat der Weihnachtsmann glatt ausgedient.