Geschädigte Anleger sollen schneller an ihr Geld kommen
Geschädigte Anleger sollen schneller an ihr Geld kommen
Novelle des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes strafft Gerichtsverfahren
Von Angela Wefers, Berlin
Geschädigte Anleger brauchen hierzulande sehr viel Geduld, um ihre kapitalmarktrechtlichen Ansprüche durchzusetzen – wenn sie damit überhaupt Erfolg haben. Das Verfahren gegen die Telekom und ihren dritten Börsengang im Jahr 2000, dem ein Kurssturz folgte, kam erst 2022 zu einem Ende, und dies auch nur mit einem Vergleich. 16.000 Anleger wurden geschädigt, viele waren vor Gericht gezogen. Andere Fälle wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation betreffen verschiedene Automobilhersteller im Diesel-Skandal oder den gescheiterten Versuch von Porsche, 2008/2009 Volkswagen zu übernehmen. Auch bei Wirecard gibt es massenweise geschädigte Anleger mit gleichlautenden Ansprüchen.
Lange Wartezeiten für Anleger und hohe Aktenberge sollen nun der Vergangenheit angehören. Der Bundestag hat am 13. Juni das Zweite Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) beschlossen. Der Bundesrat muss noch über den Gesetzentwurf entscheiden, bevor das novellierte KapMuG in Kraft treten kann. Der Entwurf steht am 5. Juli auf der Tagesordnung der Länderkammer. Viel spricht dafür, dass der Bundesrat das Gesetz passieren lässt. Damit käme die Reform noch rechtzeitig, denn das KapMuG ist bis 31. August befristet.
Lösung für Massenverfahren
2005 war das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – endlich – in Kraft getreten. Es war ein Novum im deutschen Recht, um das lange gerungen worden war. Das Gesetz zielte auf Schäden aus falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation. Mit dem KapMuG sollte ein gangbarer Weg für Anleger und auch die Gerichte geschaffen werden, massenhafte Klagen mit gleichlautenden Ansprüchen nicht in unzähligen Einzelverfahren führen zu müssen. Im Fall Telekom waren damals Lastwagen mit den Schriftsätzen zum Landgericht Frankfurt a.M. unterwegs. Anders als in der amerikanischen Sammelklage werden hierzulande nicht alle Verfahren in einen Topf geworfen, sondern bleiben individuell bestehen und werden einzeln entschieden. Tatsachen- und Rechtsfragen für mehrere Individualklagen vor dem Landgericht soll aber das Oberlandesgericht (OLG) als höhere Instanz mit einem Musterkläger für alle gemeinsam klären. Alle anderen Verfahren ruhen derweil. Nach diesem Musterentscheid geht der Fall zurück an das Landgericht, das nun auch in den anderen Verfahren auf Basis des Musterentscheids urteilt. Voraussetzung für das Musterverfahren ist, dass die Parteien von mindestens zehn Individualklageverfahren mit gleichlautenden Tatsachen- und Rechtsfragen ein Musterverfahren beantragen.
Befristung ist gefallen
Die Novelle war aus mehreren Gründen nötig. Ende August wäre es wegen der Befristung ersatzlos ausgelaufen. Der Bundestag hat nun die Frist aufgehoben und das KapMuG damit dauerhaft etabliert. Das Gesetz soll aber nach fünf Jahren evaluiert werden. Zudem wollte die Bundesregierung die Defizite beseitigen, die auch nach einer ersten Novelle 2012 noch bestanden. Denn die Verfahren hatten sich nicht spürbar verkürzt.
Am Konzept des Musterverfahrens hat die Bundesregierung festgehalten. Es hat sich „in der Praxis trotz seiner bisherigen Unzulänglichkeiten grundsätzlich als Instrument zur Bewältigung gehäuft auftretender gleichlaufender Klagen mit kapitalmarktrechtlichem Bezug bewährt“, führt der Entwurf aus dem Justizministerium dazu aus. Künftig sollen die Oberlandesgerichte aber mehr Freiheit bekommen und die Feststellungsziele für das Musterverfahren selbst formulieren dürfen. Das OLG kann damit den Gegenstand des Musterverfahrens so festlegen, dass es eine effiziente Verfahrensführung erlaubt und zugleich möglichst viele Verfahren gebündelt werden können. Bislang formulieren die Landgerichte die sogenannten Feststellungsziele im Musterverfahren und legen sie dem OLG vor. Dies hat bisher ein langwieriges juristisches Hin und Her über mehrere Instanzen bis hin zum BGH durch die Kläger ausgelöst.
Verkürzte Fristen
Weitere Änderungen betreffen die Entscheidung über den Musterverfahrensantrag, den Inhalt des Vorlagenbeschlusses, den Eröffnungsbeschluss und den Musterkläger. Neu sind auch Regelungen zur Vorlage von Beweismitteln. Dies alles soll zu strafferen Verfahren führen. Verkürzt wurde die Frist, innerhalb der eine Klage zu einer Musterklage wird. Musterverfahrensanträge müssen innerhalb von drei Monaten im Klageregister bekannt gemacht werden. Bislang waren es sechs Monate. Helfen soll den Gerichten eine digitale Aktenführung ohne Papierberge, die allerdings generell in die Justiz einzieht.
Neu ist auch, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes auf den Kryptohandel ausgeweitet wurde. In der parlamentarischen Beratung im Bundestag hat der Rechtsausschuss auf der Zielgeraden noch zahlreiche weitere Änderungen eingebracht. Nur einen Tag vor dem Beschluss im Plenum hatte die Ampel-Koalition im Ausschuss auch Anlagebasisinformationsblätter von Crowdfunding-Dienstleistern sowie Ratings und Bestätigungsvermerke von Abschlussprüfern für Emittenten oder Vermögensanlagenanbieter als sogenannte Regelbeispiele für öffentliche Kapitalmarktinformationen in das KapMuG aufgenommen. Damit wurden auch Anliegen der Länder aufgegriffen, die grünes Licht für die KapMuG-Reform im Bundesrat nun wahrscheinlich machen.
Zweifel am Ergebnis
Der Gesetzentwurf wurde mit den Stimmen der Ampel-Koalition gebilligt. CDU/CSU, Linke und BSW stimmten dagegen. Die AfD enthielt sich. Ob die Verfahren für geschädigte Anleger nun kürzer werden und sie schneller an ihr Geld kommen, muss sich in der Praxis erweisen. Es gibt jedoch valide Zweifel – bei den Sachverständigen, die sich in der öffentlichen Bundestags-Anhörung äußerten, und bei der Opposition.
Die CDU/CSU im Bundestag monierte, dass das Gesetz entfristet wurde und nun dauerhaft gilt. Die Fraktion hatte einen eigenen Antrag formuliert, der naturgemäß keine Mehrheit fand. Darin forderte sie die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das KapMuG weitere fünf Jahre in Kraft lässt, um in dieser Zeit eine „neue stimmige Rechtslage“ zu entwickeln. In der Plenardebatte bezweifelte der Berichterstatter Martin Plum (CDU), dass das träge Pferd des KapMuG durch die Novelle deutlich schneller werde. Die Reform behandele nur Symptome und nicht die Ursachen. Die Gruppe BSW unterstützte die Entfristung, äußerte aber bei den übrigen Neuerungen erhebliche Bedenken.
Bei der Anhörung hatte sich auch die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) gegen die Entfristung ausgesprochen. Die erheblichen Änderungen durch die Reform müssten auf Wirksamkeit evaluiert werden. Vor allem aber wies DK-Vertreter Sven Kalisz auf die Inkonsistenz zwischen KapMuG und dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) für Verbandsklagen in Sammelverfahren hin. Mehrere Sachverständige teilten das Anliegen von Kalisz, perspektivisch einen einheitlichen Rechtsrahmen für Massenverfahren zu schaffen, der KapMuG und VDuG ablösten würde. Dies dürfte nach den Erfahrungen mit dem KapMuG allerdings nur sehr langfristig gelingen.