Mit einem bunten Keks elektrisch unterwegs
Kennen Sie Macarons? Das einst nur bei vornehmen Pariser Konditoren erhältliche pappsüße Mandel-Zucker-Eischaumgebäck hat sich weltweit als Feinkostschlager und Geschenkartikel durchgesetzt. Bei der Füllmasse sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, und die früher streng pastellfarben gehaltenen Makronen gibt es längst in allen erdenklichen quietschbunten Varianten. Die unwiderstehliche Kombination aus hohem Dekorationswert und niedrigem Nährwert kostet als Großpackung bei deutschen Online-Versandhändlern etwa 70 Euro. Würde man 70 Schachteln davon kaufen, landet man bei 4900 Euro oder umgerechnet 37600 Yuan. Das wiederum ist genau der Preis für den Wuling Hong Guang Mini EV Macaron, eine Art Kekspackung auf vier Rädern mit Türen und Scheiben, die auf der gerade gestarteten Internationalen Automesse in Schanghai das Pkw-Käuferpublikum förmlich elektrisiert.
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In dem von der Corona-Epidemie und schmaleren Portemonnaies geprägten Jahr 2020 hat sich das 70 Kekspackungen teure Elektroauto Wuling Hong Guang Mini als Sensation auf Rädern in Chinas Großstadtgefilden erwiesen und erobert die Herzen im immer mehr elektrisch gepolten weltgrößten Fahrzeugmarkt. Die mechanischen Daten weisen den Winzling als Batteriefahrzeug aus, das 27 PS unter der Haube hat, ein Drehmoment von 85 Newtonmeter entfaltet, die Tachonadel bis auf 100 bringt und auf eine Reichweite pro Batterieladung von 170 Kilometer kommt.
Das alles reicht sicherlich nicht aus, um einen urbanen Macho-Autokäufer vom Sitz zu reißen. Beim jüngeren weiblichen Publikum aus Chinas Millionenstädten der sogenannten dritten und vierten Garde – von denen es weit über hundert gibt – aber wird eine andere Rechnung aufgemacht: „Hao ke ai, ye bu gui“, nämlich „so süß und so erschwinglich“. Und außerdem ist die Knutschkugel auch für automobile Anfänger kinderleicht zu parken oder an die elektrische Zapfsäule zu bringen.
Hinter Wuling steckt ein Mobilitätskonzept, das den Laien zum Staunen bringt und den Fachmann sich wundern lässt. Erstaunlich ist beispielsweise, dass sich das Käuferspektrum des Wuling Hong Guang Mini nicht auf Zirkusartisten und Liliputaner beschränkt, denn das Fahrzeug lässt einen BMW Mini, Mercedes Smart oder Fiat 500 im Vergleich feudal und großräumig erscheinen. Es ist aber auf vier Personen samt minimaler Gepäckverstaumöglichkeit ausgelegt.
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Sich darüber zu wundern hieße aber die erstaunlichen schlangenmenschlichen Fähigkeiten des jüngeren wie auch älteren Publikums im Tai-Chi-geübten Reich der Mitte zu verkennen. Abgesehen davon: Wer es gewohnt ist, sich im chinesischen urbanen Dschungel zu Berufsverkehrszeiten in eine U-Bahn oder einen Stadtbus quetschen zu müssen und dabei noch irgendwie das Smartphone zu bedienen, wird das Platzangebot im Wuling auch bei Vollbesetzung als herrlich meditativ entspannend empfinden. Autoexperten sind beim Blick auf die jüngsten Verkaufsstatistiken dennoch ein wenig pikiert. Bislang war man sich einig, dass der zukunftsträchtige Markt für Batteriefahrzeuge von der Silicon-Valley-Größe Tesla und nicht von weniger technologieverliebten und futuristisch angehauchten chinesischen Start-up-Unternehmen wie Nio, Xpeng, oder Li Auto aufgerollt werden würde. Dahinter steckt das Kalkül, dass die aufstrebende chinesische Mittelklasse ihre Kaufkraft für anspruchsvolle und vor technologischen Gadgets strotzende Premiumfahrzeuge entfaltet und auch Batteriefahrzeuge als rollende Statussymbole taugen.
Mag alles sein, aber der Wuling Hong Guang Mini hat im ersten Quartal 2021 mit seinem rauschenden Erfolg im chinesischen Markt den Tesla Model 3 als weltweit bestverkauftes Elektroauto abgelöst. Der Niedlichkeitstrend hat Reichweite. Zuckerbäckerhandwerk schlägt Ingenieurskunst. Dafür sorgt nun die neue aufgehübschte Macaron-Modellreihe. Auf der Messe in Schanghai zeigt sie sich in den drei beliebtesten Farben für das Naschwerk-Original, nämlich Pistaziengrün, Zitronengelb und Pfirsichrosa. Einfach unwiderstehlich.