LEITARTIKEL

Mitfahrgelegenheit für Google

Hat die Automobilindustrie im Rennen um die Mobilität der Zukunft gerade die Fahrzeugschlüssel an den US-Technologiekonzern Alphabet abgegeben? Hört man Harold Goddijn zu, dem Chef des niederländischen Navigationsspezialisten TomTom, gibt es daran...

Mitfahrgelegenheit für Google

Hat die Automobilindustrie im Rennen um die Mobilität der Zukunft gerade die Fahrzeugschlüssel an den US-Technologiekonzern Alphabet abgegeben? Hört man Harold Goddijn zu, dem Chef des niederländischen Navigationsspezialisten TomTom, gibt es daran keine Zweifel. Es sei “eine echte Gefahr, den Zugang zum Königreich für Dritte zu öffnen”, sagte der CEO in der vergangenen Woche, nachdem die Automobil-Allianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi gerade eine Kooperation mit der Muttergesellschaft des US-Internetkonzerns Google verkündet hatte. Demnach sollen die Autos der drei Hersteller schon ab 2021 mit Infotainment-Systemen ausgerüstet sein, die auf das Betriebssystem Android von Google und Apps wie die Kartensoftware Google Maps aufbauen.Goddijn ist kein neutraler Beobachter, denn zunächst einmal ist die Partnerschaft der drei Autobauer mit Google eine Gefahr für TomTom selbst. Seit Jahren setzt der Konzern auf das Geschäft mit der Automobilindustrie. Die Niederländer unterhalten unter anderem eine Partnerschaft mit Renault, die jetzt für Google die Tür geöffnet hat. Die Aktie von TomTom rauschte darauf mehr als ein Viertel ab und erhielt einen weiteren Dämpfer, als CFO Taco Titulaer negative Auswirkungen auf den Ordereingang für TomTom prognostizierte. Analysten rechneten in ersten Reaktionen damit, dass die Kooperation zwischen Google und den drei Herstellern auch andere Autobauer unter Druck setzen könnte, die Mittelkonsole für Android zu öffnen. “Es kann sein, dass Google dominant wird, während sich TomTom und Here um die Krümel streiten”, fasste ein Analyst die Aussichten zusammen. Die ehemalige Nokia-Tochter Here, für die ein Konsortium aus Audi, BMW und Daimler vor etwas mehr als drei Jahren gut 3 Mrd. Dollar bezahlt hat, gehört zu den wichtigsten Konkurrenten von TomTom. Die Autoindustrie laufe Gefahr, die Kontrolle über wertvolle Kundendaten zu verlieren, warnte Goddijn nach Bekanntgabe des Deals zwischen Renault-Nissan-Mitsubishi und Google. Denn der US-Technologiekonzern erhält als Teil der Vereinbarung künftig Zugriff auf Daten der mit Android-Infotainment ausgestatteten Wagen der drei Hersteller, die im vergangenen Jahr gemeinsam rund 10,6 Millionen Fahrzeuge verkauft haben und im ersten Halbjahr mit 5,5 Millionen abgesetzten Autos vor Volkswagen und Toyota an der Spitze lagen. Genau dagegen haben sich die Autobauer bislang gesträubt, auch wenn sie ihr Infotainmentangebot immer öfter mit Betriebssystemen wie Android oder iOS von Apple kompatibel machen. Das geschieht meist aus der Einsicht heraus, dass die eigenen Infotainment-Angebote hinter den Standards zurückbleiben, die Google und Apple im Alltag gesetzt haben.Nach Angaben der Marktforscher von IHS Markit lassen deshalb schon 30 Hersteller mit 350 Modellen von 57 verschiedenen Marken die Verbindung zwischen den iPhones von Apple mit ihren Infotainment-Systemen zu. Bis 2024 werden demnach 300 Millionen Wagen mit der Software Car Play von Apple kompatibel sein. Android-Software von Google kommt bereits in Verbindung mit fast jedem fünften Infotainment-System im Auto zum Einsatz. Laut Agenturberichten aus der vergangenen Woche wird sich auch Toyota bald für Android öffnen, nachdem der japanische Autobauer die Mittelkonsole im Januar für Car Play aufgemacht hat. Erst ein Jahr zuvor hatte Toyota zusammen mit Ford, PSA, Mazda und Suzuki eine Allianz geschmiedet, um dem Zugriff der Technologiekonzerne auf das Infotainment und damit verbundene Daten Einhalt zu gebieten.—–Von Stefan ParaviciniRenault-Nissan-Mitsubishi haben die Autotür für den US-Technologiekonzern Alphabet geöffnet. Der Mitfahrer könnte bald die Richtung vorgeben. —–