LeitartikelRüstungsindustrie

Mittendrin in der Zeitenwende

Egal ob Biden oder Trump zum Präsidenten gewählt wird: Europa wird mehr als bisher für eigene Rüstung ausgeben.

Mittendrin in der Zeitenwende

Rüstungsindustrie

Mittendrin in der Zeitenwende

Egal ob Biden oder Trump zum Präsidenten gewählt wird: Europa wird mehr als bisher für Rüstung ausgeben.

Von Christoph Ruhkamp

Kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine hatte Bundeskanzler Olaf Scholz den 24. Februar 2022 als „Zeitenwende der Geschichte des Kontinents“ bezeichnet. In dieser „Zeitenwende“ steckt die Rüstungsindustrie nun mittendrin. Vor kurzem Undenkbares wird wieder gedacht. Auf der Rüstungsmesse Eurosatory in Paris waren allein 67 deutsche Rüstungsunternehmen im German Pavilion des Branchenverbands BDSV vertreten, um ihre Produkte dem fachkundigen Publikum zu präsentieren. Damit war die deutsche Rüstungsindustrie einer der größeren Aussteller. Allein Rheinmetall verzeichnet ein Rekord-Auftragsbuch, das Ende 2024 rund 60 Mrd. Euro umfassen wird – ein Löwenanteil davon für Artilleriemunition, die unter anderem in der Ukraine verschossen wird. Der Börsenwert von Rheinmetall hat sich seit Oktober verdoppelt.

Der Hintergrund des anhaltenden Aufschwungs für die Rüstungsindustrie ist unübersehbar. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius warnt, dass Russland in einigen Jahren durchaus Nato-Länder angreifen könnte. In fünf Jahren müsse Deutschland „kriegstüchtig“ sein, fordert der Minister ebenso wie Generalinspekteur Carsten Breuer. Im Rahmen eines Sondervermögens wurden 100 Mrd. Euro bereitgestellt, und innerhalb des Nordatlantikpakts (Nato) wurde das Ziel von 2% des BIP für Verteidigungsausgaben mehrfach von den politisch Verantwortlichen bekräftigt. Inzwischen ist es gelungen, die im Sondervermögen bereitgestellten Haushaltsmittel unter Vertrag zu nehmen und somit eine erste Planungssicherheit für weite Teile der Industrie sicherzustellen. Was aus Sicht der Rüstungsunternehmen fehlt, ist eine Verstetigung in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes. Rheinmetall-Chef Armin Papperger hält die bisher ausgegebenen Beträge indes für viel zu gering. Um Deutschland verteidigungsbereit zu machen, müsse der Rüstungshaushalt von 52 Mrd. Euro auf mehr als 80 Mrd. Euro ansteigen.

Unter den Investoren bei einer kürzlich abgehaltenen Konferenz der Investmentbank Morgan Stanley zur Rüstungsindustrie gab es keine Zweifel daran, dass die Verteidigungsausgaben in Europa steigen. Das sei notwendig und unvermeidlich. Im Durchschnitt wird in diesem Jahr der Wert von 2% des BIP erreicht. Der Versuch, den Zeitpunkt des Nutzens für die Unternehmen des Sektors genau vorherzusagen, bleibt schwierig, aber die meisten Investoren sind bereit, über das kurzfristige Rauschen hinwegzuhören, weil sie der Ansicht sind, dass mittelfristig ein höheres Wachstum zu erwarten ist.

Ist der Aufschwung bei den Verteidigungsausgaben strukturell bedingt? Einige Investoren befürchten, dass allein das Risiko eines Wechsels in der US-Regierung der Grund für den derzeitigen Ausgabenaufschwung ist und dass künftige Pläne eingeschränkt werden könnten, wenn sich die Erwartungen ändern. Morgan Stanley schätzt jedoch, dass Europa mehr als 2 Bill. Dollar ausgeben müsste, um die unzureichenden Ausgaben – im Vergleich zu den Verpflichtungen von 2% des BIP – der letzten 30 Jahre auszugleichen. Dies bestärkt die Überzeugung, dass sich Europa in der Anfangsphase eines jahrzehntelangen Aufschwungs bei den Verteidigungsausgaben befindet. Die kurzfristige Stimmung gegenüber dem Sektor könnte stark beeinflusst werden durch politische Rhetorik, aber die Notwendigkeit höherer Ausgaben scheint unbestreitbar.

Die EU muss nun einen Konsens über das Ziel und den Zweck eines europäischen Verteidigungsinstruments als Ergänzung zur Nato herstellen. Unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen werden sich die USA zukünftig zwangsläufig mehr den Krisen in Asien zuwenden. Deshalb müssen die EU-Staaten kooperieren. Das kann nur dann erfolgreich sein, wenn es den Mitgliedstaaten gelingt, ihre Anforderungen, Standards und auch Exportkontroll-Regime so zu harmonisieren, dass die Kooperationsprodukte wirtschaftlich erfolgreich realisiert werden können. Davon zeugen schon heute zum Beispiel die Planungen für ein künftiges europäisches Kampfflugzeugprojekt unter französischer Federführung und einen neuen Kampfpanzer unter deutscher Federführung.

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