Digitalisierung

Modernisierung der Hauptversammlung nach Covid

Der Gesetzgeber sollte mutig den Rahmen für eine echte virtuelle Hauptversammlung gestalten, die der Präsenzveranstaltung gleichwertig ist.

Modernisierung der Hauptversammlung nach Covid

Viel ist geschrieben worden über die Hauptversammlung nach Covid. Und das zu Recht. Denn der Gesetzgeber hat mit seinen, der Covid-Krise geschuldeten, Erleichterungen für die Durchführung der Hauptversammlung Entschlossenheit und Pragmatismus bei einem Thema bewiesen, bei dem sich verschiedene Lager schon lange unversöhnt gegenüberstehen. Nun gilt es, die Chance zu nutzen und die Hauptversammlung dauerhaft zu modernisieren. Im Zentrum steht dabei die Einführung einer echten virtuellen Hauptversammlung.

Dieses Vorhaben wird aber nur gelingen, wenn man zuvor gedanklich einen Schritt zurücktritt. Denn geschaffen in der Krise, beschneiden die Regelungen zur Covid-Hauptversammlung die Rechte der Aktionäre drastisch und höhlen so die eigentliche Versammlung in ihrer Bedeutung massiv aus.

Gleichwertige Aktionärsrechte

Soweit die Unternehmen es ihnen nicht einräumen, haben Aktionäre nach den Covid-Regeln nicht das Recht, in der Versammlung selbst Fragen oder Anträge zu stellen, sondern müssen diese vorher einreichen. Für die HV-Saison 2021 wurde zwar das weitreichende Ermessen der Unternehmen hinsichtlich des „Ob“ der Beantwortung eingereichter Fragen gestrichen, wesentliche Aktionärsrechte bei mangelhafter Fragenbeantwortung gibt es dennoch nicht. Denn die Anfechtungsrechte von Aktionären wurden vom Gesetzgeber – krisenbedingt – massiv eingeschränkt. Nun zeigt aber die Erfahrung, dass ohne wirkungsvolle Sanktionen die Teilhabe der Aktionäre am Unternehmen unweigerlich ausgehöhlt werden wird.

Die einfache Fortschreibung der Covid-Regeln für die Zukunft, so verlockend sie manchem erscheinen mag, kann daher keine Lösung sein. So sehen es vermutlich auch die Justizminister der Länder, wenn sie in ihrem Beschluss für die virtuelle Hauptversammlung gegenüber der Präsenzveranstaltung unter „Berücksichtigung der Besonderheit elektronischer Kommunikation gleichwertige“ Rechte der Aktionäre einfordern.

Mehr Interaktion

Damit stellt sich die Frage, wie eine tragfähige Regelung aussehen könnte. Eine wesentliche Verbesserung durch die Covid-Regeln ist die Beteiligung der Aktionäre im Vorfeld der eigentlichen Hauptversammlung. Im Zeitalter von Social Media bietet es für Aktionäre und Unternehmen durchaus Mehrwert, allgemeine Stellungnahmen zur Tagesordnung im Vorfeld einzureichen und zu veröffentlichen. Das schließt Videobotschaften natürlich ein. Auch das Einreichen von Fragen im Vorfeld der Hauptversammlung war ein Gewinn. Ob es allerdings sinnvoll war, die Einreichungsfrist auf bis zu einen Tag vor der Hauptversammlung auszudehnen, muss bezweifelt werden. Hier würde ein Cut-off von mehreren Tagen vor der Hauptversammlung Gutes bewirken, weil mehr Zeit die Qualität der Antworten erhöht.

Die Sorge, dass Unternehmen bei der virtuellen Hauptversammlung eine unkontrollierte Flut von Aktionärsfragen erhalten, ließe sich vom Gesetzgeber pragmatisch lösen, wenn Unternehmen zunächst verpflichtet würden, vor der Hauptversammlung eingereichte Fragen bis zum Tag der Hauptversammlung auf der HV-Internetseite des Unternehmens zu beantworten, sich daran allerdings noch kein Anfechtungsrecht von Aktionären knüpft. Auch wenn mehr Kommunikation in das Vorfeld der Hauptversammlung verlagert wird, müssten Aktionäre aber in der Hauptversammlung ein Rede- und Fragerecht haben.

Es geht also nicht darum, die eigentliche Hauptversammlung auszuhöhlen. Die Verwaltungen müssen sich der Debatte mit ihren Eigentümern stellen. Da Unternehmen aber bereits Fragen beantworten konnten, ist zu erwarten, dass diese Debatte an Inhalt und Fokussierung gewinnen wird. Den Versammlungsleitern stünde dabei – und das eben formatübergreifend – das bewährte Instrumentarium von Frage- und Rederechtbeschränkungen zur Verfügung.

Die Gretchenfrage jeder Regelung zur virtuellen Hauptversammlung ist natürlich die nach dem Anfechtungsrecht der Aktionäre. Hier wird immer wieder die Furcht vor dem Versagen der Zugangssysteme als Grund für die Notwendigkeit einer Beschränkung angeführt. Dieser trägt aber nicht. Denn zum einen ist von keinen nennenswerten technischen Ausfällen aus den letzten zwei virtuellen Saisons berichtet worden und außerdem ist zu erwarten, dass sich – wie bei anderen technischen HV-Aspekten – in kürzester Zeit ein technischer Standard für die virtuelle Hauptversammlung herausbilden wird.

Unternehmen, die diesen Standard anwenden, sollten davon bei der Anfechtbarkeit profitieren, wenn es doch zu Ausfällen kommt; der Gesetzgeber könnte flankierende Regelungen schaffen und die Unternehmen entsprechend rechtlich absichern. Ein Fortschreiben der restriktiven Covid-Regeln ist also nicht erforderlich.

Mut zur Reform

Der Gesetzgeber sollte die Chance ergreifen und mutig den Rahmen für eine echte virtuelle Hauptversammlung gestalten, die der heutigen Präsenzveranstaltung auch hinsichtlich der Aktionärsteilhabe gleichwertig ist. So könnte die etwas angestaubte deutsche Hauptversammlung modernisiert und im Interesse von Aktionären und Unternehmen auch mit mehr Leben gefüllt werden.

Auch eine so ausgestaltete virtuelle Hauptversammlung stößt allerdings an Grenzen. Denn für komplexe Beschlussfassungen, wie Strukturmaßnahmen oder wenn die Hauptversammlung auf mehrere Tage einberufen werden muss, ist eine rein virtuelle Versammlung kein geeignetes Format. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, auch insoweit den Rahmen abzustecken.

Prof. Dr. Florian Drinhausen ist Partner der Kanzlei Ashurst in Frankfurt am Main und Honorarprofessor der EBS Universität für Wirtschaft und Recht.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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