Notiert in München

Die Steueroase im Nachbarort

Grünwald lockt mit einem relativ niedrigen Gewerbesteuersatz. Einer Vermittlerin von Geschäften mit Corona-Schutzmasken wurde dies zum Verhängnis.

Die Steueroase im Nachbarort

Notiert in München

Die Steueroase im Nachbarort

Von Joachim Herr

Gewerbesteuerhebesatz ist ein schönes Wort aus dem Amtsdeutsch im schier unendlichen Kosmos der Steuern und Abgaben in Deutschland. Andere eindrucksvolle Beispiele sind Nichtveranlagungsbescheinigung, Lohnsteuerabzugsmerkmale und Sonderausgabenpauschbetrag. Laut §16 Absatz 4 Satz 2 Gewerbesteuergesetz muss der Hebesatz mindestens 200% betragen.

Eine Internet-Recherche ergibt, dass sich Langenwolschendorf in Thüringen mit diesem Wert begnügt. An der Spitze stehen laut dem Software-Anbieter Lexware zwei Gemeinden: Wettlingen in Rheinland-Pfalz und Inden in Nordrhein-Westfalen mit stolzen 600%. Was das für die Attraktivität als Gewerbestandort bedeutet, lässt sich leicht ausrechnen.

Klarer Vorteil

Grünwald hat in diesem Wettbewerb, den die sogenannte kommunale Selbstverwaltung möglich macht, gute Karten. Der Ort, der im Süden von München direkt angrenzt und als Wohnstätte der Reichen und Schönen, Stars und Sternchen über die Region hinaus bekannt ist, verlangt einen Hebesatz von 240%. Verglichen mit den 490% in der Landeshauptstadt ist das nicht einmal die Hälfte. Für Gewerbetreibende ist der Vorort recht anziehend: Das zeigt das Verhältnis von etwas mehr als 11.000 Einwohnern zu rund 8.000 Unternehmen. Darunter ist ein erklecklicher Anteil von Briefkastenfirmen.

Die Vorzüge der erheblichen Differenz des Hebesatzes im Vergleich mit der Metropole wollte auch Andrea Tandler nutzen – allerdings auf illegale Weise. Deshalb hat sie das Landgericht München I in diesen Tagen wegen Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt.

"Die Tochter von"

Der Fall fand aus zwei Gründen große Aufmerksamkeit: Zum einen ging es um Deals mit Corona-Schutzmasken, zum anderen gehört die 40 Jahre alte Tandler in die Kategorie "die Tochter von". Ihr Vater ist Gerold Tandler (87). Der CSU-Politiker war in den siebziger Jahren Generalsekretär der Partei, später Innenminister des Freistaats sowie Minister für Wirtschaft und anschließend der Finanzen. Seine Tochter hat sich – neutral formuliert – in der Corona-Pandemie als sehr geschäftstüchtig bewiesen.

Der Maskenhandel brachte ihr und einem ebenfalls verurteilten Geschäftspartner Provisionen von sage und schreibe 48,4 Mill. Euro ein. Nach Auffassung des Gerichts öffnete der Name Tandler die Tür, um im Jahr 2020 Geschäfte mit Behörden des Bundes und der Länder zu vermitteln. Der Schweizer Maskenlieferant Emix Trading habe den Kontakt zu Tandler wegen ihrer Beziehungen in Regierungskreise gesucht. Sie war nicht die Einzige, die sich mit dem Vermitteln von Maskengeschäften eine goldene Nase verdient hat. In Bayern stehen dafür auch die Politiker Alfred Sauter und Georg Nüßlein.

Fast 8 Mill. Euro Schaden

Auch im Fall von Tandler hält die Justiz die Geschäfte für vollkommen legal, wenn auch moralisch zumindest für bedenklich. Der Knackpunkt ist der Firmensitz: Diesen hatte Tandler nach Erkenntnis des Gerichts wegen des niedrigeren Gewerbesteuersatzes von München nach Grünwald verlagert, aber gar nicht dort gearbeitet. München war der Ort der Geschäftsleitung. Wegen der Hinterziehung von Gewerbe- und aus anderen Gründen zudem von Einkommensteuer ermittelte die Staatsanwaltschaft einen wirtschaftlichen Schaden von 7,8 Mill. Euro.

Starker Anstieg in der Pandemie

Einen wirtschaftlichen Schaden erlitt die reiche Gemeinde Grünwald nicht einmal während der Corona-Pandemie. Im Gegenteil: 2021 stiegen die Gewerbesteuereinnahmen auf 236 Mill. Euro. In den drei Jahren zuvor waren es zwischen 143 Mill. und 149 Mill. Euro gewesen. Der Leiter des Steueramts begründete die Zunahme damals laut der "Süddeutschen Zeitung" mit zahlreichen potenten Firmen, die die Pandemie nicht beeinflusst habe. Unter anderem Leasinggesellschaften für Windkraft und Solaranlagen und eine Fondsgesellschaft, die Gewerbeimmobilien von Schanghai bis New York verwalte.

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