Nagelprobe für die Datenökonomie
Auch wenn die Politik in der EU am Ende einen Kompromiss fand, den die deutsche Digitalwirtschaft schon deshalb unterstützt, damit es überhaupt einen Arbeitsrahmen für künstliche Intelligenz (KI) in Europa gibt, ein Unbehagen mit Blick auf den AI Act bleibt. Groß ist die Sorge der Unternehmen, dass das Kind doch mit dem Bade ausgeschüttet wird, indem der risikobasierte Ansatz in der KI-Regulierung am Ende dazu führt, dass selbst einfache und erprobte Steuerungen von Haushaltsgeräten plötzlich als Hochrisiko-Anwendung gelten. Die Sorge kommt nicht von ungefähr, denn auch ein zuvor in der Gemeinschaft ersonnenes ähnlich weitreichendes Regulierungswerk, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), scheidet noch immer die Geister. Die einen erkennen darin eine gelungene weltweite Blaupause, die anderen eine Innovationsbremse.
Die Gefahr, dass der AI Act zu Letzterem wird, ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Und dies könnte zur Folge haben, dass die „digitale Souveränität Deutschlands“, wie es der Branchenverband Bitkom formuliert hat, weiter abnimmt. Denn die Fähigkeit, „Schlüsseltechnologien selbst zu erzeugen“ oder jedenfalls Entscheidungshoheit darüber zu haben, aus welchen Drittländern digitale Produkte und Dienste bezogen werden, spiegelt sich im Grad der Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Ausland und insbesondere in Klumpenrisiken, die im Hinblick auf die Beziehungen zu China und den USA bestehen. Und diese wachsen stetig.
Die Ursachen der Abhängigkeiten liegen nur teilweise auf der Hand. So sind große Teile der Wertschöpfungskette im Bereich digitaler Hardware wie PC, Laptops, Smartphones, Speicherchips seit vielen Jahren nach Asien und in der Hauptsache nach China abgewandert, weil in Deutschland und Europa insgesamt die Rahmenbedingungen fehlen, die nötig sind, um eine solche Produktion global wettbewerbsfähig zu skalieren. Insofern ist die Vorstellung, an dieser Stelle das Rad zurückzudrehen und etwa sogenanntes Nearshoring zu betreiben, betriebswirtschaftlich abwegig. Dies gilt allerdings nicht nur für Deutschland und Europa. Die Idee, Apple könnte die iPhone-Produktion in nennenswertem Umfang aus China verlagern, gehört ebenfalls ins Reich der Träume – und wäre selbst für den finanziell kraftstrotzenden US-Konzern wohl eher ein Albtraum. Die globale Arbeitsteilung ist an dieser Stelle mittlerweile so festgefügt, dass eine Neuordnung in einem kaum vorstellbaren Ausmaß wirtschaftlich schmerzhaft wäre. Die USA müssen und können bisher mit dieser Abhängigkeit umgehen, weil ihre Führungsrolle bei digitalen Schlüsseltechnologien unbestritten ist. In Europa und Deutschland fehlt es indes auch hier an einem Gegengewicht, das in die Waagschale geworfen werden könnte.
AI Act
Nagelprobe für die Datenökonomie
Deutsche Unternehmen können eine digitale Abhängigkeit in vielen Bereichen nicht mehr verringern. Ziel kann jedoch sein, sie auszubalancieren.
Von Heidi Rohde
Dass ein oft verbotsorientiertes starres Gesetzeskorsett zumindest eine zentrale Rolle spielt, zeigt der Umgang mit der Daten- und Plattform-Ökonomie. Das weltweite Duopol bei Smart Devices auf der Privatkundenseite entstand aus der Innovationskraft von Apple und Google, begleitet von einem sehr liberalen Rechtsrahmen, was die Datennutzung angeht. Das Gleiche gilt für Soziale Netzwerke wie Facebook oder Webhoster wie AWS und Microsoft. Deutsche Unternehmen können sich dabei nicht mehr in sinnvoller Weise in einen aussichtslosen Wettbewerb stürzen, aber die Chance bei gewerblich-industriellen Plattform-Lösungen, die auf Big Data basieren, besteht noch. Indes ist auch hier wenig Tempo zu erkennen. Branchenexperten mahnen seit Jahren dazu, das große Potenzial von – jetzt auch KI-gestützten – Big-Data-Technologien zu nutzen, um möglicherweise technologische Standards zu setzen, sei es bei Anwendungen für Energiewende, Verkehrssysteme, Medizin und Pharma und vielem mehr.
Deutsche Unternehmen können eine digitale Abhängigkeit in vielen Bereichen nicht mehr verringern. Ziel kann jedoch sein, sie auszubalancieren, indem für innovative Technologien Geschäftsfelder eröffnet werden. Dazu braucht es unternehmerische Investitionen, aber ebenso einen Regulierungsrahmen, der nicht allzu sehr drückt. Beim AI Act steht die nächste Nagelprobe dafür an.