LeitartikelKI-Gigant

Nagelprobe für Nvidia

Ihre KI-Gatekeeper-Rolle setzt Nvidia in eine Schlüsselposition, um die Risiken des globalen Decoupling mit China deutlich zu machen.

Nagelprobe für Nvidia

Die glorreichen Sieben zogen bekanntlich für die Armen und Bedrängten ins Feld und auch aus den Reihen der ebenso benannten Börsenstars der ersten US-Tech-Liga ist regelmäßig von globaler Teilhabe, digitaler Selbstbestimmung und anderen Innovationen zum Wohle der Menschheit zu hören. Ob Nvidia als Heilsgesandte der künstlichen Intelligenz (KI) unterwegs ist, hat bisher noch niemand gefragt, aber das Rollenmodell der schon länger als Giganten etablierten Gefährten Apple und Google hat der einstige Halbleiterkonzern übernommen. Nvidia ist Gatekeeper der KI-Welt, so wie die beiden Plattformriesen das Tor zum Internet bewachen.

Preise diktiert

Der kalifornische Konzern steht derzeit mit seiner Familie von Hochleistungschips nach Einschätzung vieler Experten außer Konkurrenz. Nvidia-Chips sind das Herz von KI-Anwendungen der Hyperskaler Google, Microsoft und Amazon sowie in Zehntausenden von Datenzentren in aller Welt. Andere Halbleiterhersteller hält der Konzern bisher auf Abstand. Die explodierende Nachfrage nach den Produkten des Unternehmens sorgt nicht nur für die Umsatzexpansion mit Siebenmeilenstiefeln, sondern auch für Quantensprünge beim Gewinn. Im dritten Geschäftsquartal hat Nvidia die Erwartungen pulverisiert: eine Umsatzverdreifachung und einen Ergebnisanstieg von 1.200% hatte keiner der Beobachter auf dem Zettel. Der exorbitante Zuwachs ist vor allem die Folge der Ausnahmestellung des Konzerns, die es ermöglicht, die Preise bei den Kunden zu diktieren. Zur abhängigen Kundschaft gehört nicht nur die IT-Branche selbst, sondern auch die Autoindustrie, bei der die Entwicklung des autonomen Fahrens von KI-Chips abhängt, ebenso wie andere Branchen, in denen es um industrielle Automatisierung und Robotik geht.

Die Gatekeeper-Rolle bei einer Zukunftstechnologie, deren umwälzende Wirkungen zwar vielfach postuliert, aber bisher kaum abschätzbar sind, die aber nach Einschätzung von Experten praktisch vor keinem Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft haltmachen werden, hat zu Recht bereits den Argwohn von Politik und Behörden erregt. Die von Nvidia geplante Übernahme des weltweit führenden Chip-Designers Arm scheiterte am globalen Widerstand von Unternehmen und Kartellwächtern. Der Konzern muss davon ausgehen, dass auch alle künftigen M&A-Bestrebungen mit erhöhter Wachsamkeit verfolgt und eventuell gebremst werden.

Größter Hemmschuh

Allerdings müssen diese Restriktionen Nvidia-Chef Jen-Hsun Huang angesichts der hervorragenden organischen Wachstumsperspektiven vorläufig nicht den Schlaf rauben. Als größerer Hemmschuh dürfte sich das Bestreben der USA, im Hegemonialstreit mit China das Reich der Mitte technisch auf Abstand zu halten, erweisen. Denn die wachsende schwarze Liste, mit der die Regierung in Washington die Ausfuhrkontrolle bei Technologie sicherstellen will, presst auch Nvidia in ein regulatorisches Korsett, das dem Konzern die Atmung erschwert und die Beweglichkeit erheblich einschränkt.

Anleger ernüchtert

Nicht nur der KI-Gigant, auch andere Tech-Schwergewichte wie Qualcomm und Apple, die beide erhebliche Umsatzanteile in China im Feuer haben, werten die Handelsbeschränkungen mit dem Reich der Mitte inzwischen weit mehr als ernst zu nehmende Gefahr für ihr Geschäft und keineswegs als Schutz vor Technologiewettbewerb. Nvidia selbst, die sich vorläufig bemüht, mit einer Anpassung der Produktpalette Beschränkungen zum umgehen und so die Erlöse in China zu schützen, fürchtet um die Chance, in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt am Ball zu bleiben, was nicht nur als Umsatzbremse wirkt, sondern auch Forschung und Entwicklung hemmen kann, die bisher von globalem Austausch profitierte. Die Anleger, die der Nvidia-Aktie im laufenden Jahr bereits einen gigantischen Kursgewinn von 230% beschert haben, sind von den Warntönen aus dem Management ernüchtert. Der Markt teilt offenbar die Skepsis einer großen Koalition aus Unternehmen und Wirtschaftsexperten, die beim sogenannten Decoupling ein wachsendes Unbehagen empfinden. Womöglich liegt es bei den glorreichen Sieben, der Politik die Grenzen eines Handelskrieges aufzuzeigen, der am Ende nur Verlierer kennen könnte. Nvidia könnte auch dabei eine Schlüsselrolle zukommen.

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Nagelprobe für Nvidia

Ihre KI-Gatekeeper-Rolle setzt Nvidia in eine Schlüsselposition, um die Risiken des globalen Decoupling mit China deutlich zu machen.

Von Heidi Rohde