LEITARTIKEL

Nationalismus kehrt zurück

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Undenkbares wird Realität. Dass ein Nato-Staat pauschal gegen "den Westen" hetzt, dass eine Großmacht sich kleinere Nachbarregionen schamlos einverleibt und dass ein US-Präsidentschaftskandidat Handelsabkommen...

Nationalismus kehrt zurück

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Undenkbares wird Realität. Dass ein Nato-Staat pauschal gegen “den Westen” hetzt, dass eine Großmacht sich kleinere Nachbarregionen schamlos einverleibt und dass ein US-Präsidentschaftskandidat Handelsabkommen reihenweise aufkündigen will – unglaublich, bis Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin und Donald Trump das Gegenteil demonstrierten.Das Trio eint ideologisch nichts. Doch es steht für den Abschied von einer Politikergeneration insbesondere in Europa, die infolge ihres persönlichen Leids oder der Opfer ihrer Familien nach dem Zweiten Weltkrieg für Frieden und Verständigung stritt. Das Denken dieser Altvorderen orientierte sich an rationaler Problemlösung auf Basis der Menschenrechte. Nun kehren Populismus, Fanatismus und Emotion als Politikstil nicht nur in einzelnen Ländern zurück, sondern im Verhältnis vieler Völker untereinander. Politiker wollen sogar in Industrienationen wieder Herrscher sein. Autokratien entstehen. Nationalismus wird hoffähig auch in demokratischen Staaten. Global agierende Unternehmen und deren Eigentümer müssen sich darauf einstellen.Dies ist leichter gefordert als getan. Denn kein Manager weiß, an welcher Stelle seines Unternehmens die nächste politisch induzierte Krise zuschlägt. Eine Säuberungsaktion wie nach dem Putschversuch in der Türkei, die Ansprechpartner in Behörden und verlässliche Geschäftspartner hinwegfegt, lässt sich eben kaum antizipieren.So schwierig also die Details zu prognostizieren sind, so offensichtlich ist ein übergeordneter Trend: Die “Rückabwicklung der Globalisierung”, wie es Allianz-Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte kürzlich genannt hat. Das Wachstum der weltweiten Warenströme verlangsamt sich zwar bisher nur leicht, und es wird immer wieder Erholungsphasen geben. Doch ein Handeln in globalen Zusammenhängen wird beschädigt, wenn die Politik auf Probleme mit Nationalismus reagiert und so die geopolitische Instabilität stark zunimmt. Schließlich ist protektionistische Abschottung die Schwester eines nationalzentrierten Denkens. Langfristig gilt: Die Globalisierung, so wie wir sie kennen, kommt an ihr Ende.Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist dies ein doppelter Schlag. Erstens wird der Übergang ins neue Regime eine Phase anhaltender Unsicherheit bringen. Dies fördert Konjunkturpessimismus, schwächt das Investitionsklima, führt zu weniger Ausgaben und damit zu ausbleibenden Aufträgen. Zweitens hatte der Globalisierungsschub die hiesigen Konzerne weit vorangebracht. Sie gehören zu den Gewinnern des weltweiten Handels. Nun drohen sie den Anschluss zu verlieren.Was können Unternehmen tun, um nicht auf der Verliererseite zu stehen? Die Rückabwicklung der Globalisierung ist ein langfristiger Trend, daher ist keine Hast angezeigt – aber sehr wohl eine Prüfung der Optionen. Die Liste reicht von alltagspraktischer Krisenvorsorge bis hin zu strategischer Umorientierung. Operativ kann man sich zwar nicht auf einzelne Anschläge vorbereiten, sehr wohl aber beispielsweise mit Terror-Ausfallversicherungen die Folgen für das Geschäft minimieren. Gegen nationalistische Exzesse in Form neuer Gesetze hilft keine Assekuranz, aber die Landesgesellschaften der Konzerne sollten die regionale Politik intensiver als bisher beobachten. Wenn Warnsignale früh aufgefangen werden, kann etwa ein Fabrikbau überdacht werden.Strategisch gilt es, die Flexibilität zu erhöhen. Je festgefügter die Abläufe sind, desto geringer ist die Chance, die Schäfchen nach einem Umsturz ins Trockene zu bringen. Reaktionsschnelle Unternehmen können dagegen Vorräte oder sogar Lieferketten umlenken. Auf Großaufträge in instabilen Regionen werden sie nicht verzichten wollen. Aber ein kluges Forderungsmanagement mit hohen Vorauszahlungen der Kundschaft mindert das Exposure.Klar allerdings ist auch: Je nach Branche und je nach Ausmaß der Vernetzung sind die Möglichkeiten begrenzt. Aktionäre werden ihre Investments daher künftig auch unter diesem Gesichtspunkt beurteilen. Wie ausgeprägt ist ein Unternehmen in potenziellen Krisenregionen exponiert? Wie anfällig ist es im Krisenfall? Wie stark ist es von grenzüberschreitenden Warenströmen abhängig? Wird es in den einzelnen Ländern als quasi einheimisch wahrgenommen und damit zusätzlich vor Folgen des Nationalismus geschützt? Derlei Fragen werden die Analyse nicht dominieren, aber ergänzen.——–Von Michael Flämig Immer mehr Länder wählen eine nationalistische Politik. Dies beschleunigt die Rückabwicklung der Globalisierung. Deutsche Konzerne müssen sich wappnen.——-