Im BlickfeldÖkosysteme werden zum Finanzrisiko

Naturbezogene Risiken gewinnen im Finanzsektor an Bedeutung

Die COP16-Konferenz betont die Relevanz von Biodiversität für die Finanzwelt. Banken müssen naturbezogene Risiken in ihr Risikomanagement integrieren, um Abhängigkeiten von Ökosystemen transparent zu machen und Nachhaltigkeitsstrategien zu fördern.

Naturbezogene Risiken gewinnen im Finanzsektor an Bedeutung

Biodiversität wird
die neue Herausforderung

COP16-Konferenz stellt naturbezogene Risiken im Finanzwesen in den Fokus

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Anlässlich der derzeit laufenden COP16-Konferenz zur biologischen Vielfalt betonte Frank Elderson, Mitglied des EZB-Direktoriums, die Bedeutung der Natur für das Finanzsystem: „Wer die Natur zerstört, zerstört die Wirtschaft.“ Laut EZB sind rund 72% der Unternehmen im Euroraum von funktionierenden Ökosystemen abhängig. Und damit auch die Banken, die diese Unternehmen finanzieren. Naturbezogene Risiken müssen daher als Priorität im Risikomanagement der Banken integriert werden.

Mit der COP16 wird eine Reihe von Bestrebungen fortgesetzt, den Schutz der Biodiversität stärker zu verankern. In Europa gab es dazu den „European Green Deal“ und die „Biodiversitätsstrategie 2030“ mit dem Ziel, dass die Finanzwelt naturbezogene Risiken stärker berücksichtigt. Die EU-Taxonomie und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichten Banken zur Offenlegung dieser Risiken. „Die Biodiversitätsstrategie 2030 ist bislang nicht steuerungsrelevant für Institute“, sagt Heinz-Gerd Stickling, Partner beim Beratungsunternehmen ZEB. Während für den Klimaschutz klare Vorgaben bestehen, bleibt der Umgang mit Biodiversität in der Praxis oft unkonkret.

Zielkonflikte zum Klimaschutz

Um Klimaschutz geht es in der Finanzbranche schon lange, die Lösungsansätze sind zum Teil weit vorangeschritten. Anders sieht es mit Natur und Ökosystemen aus, das sind für die Finanzbranche eher neue Themen. Die Anforderungen an Biodiversität und Klimaschutz unterscheiden sich teils erheblich.

„Die Dekarbonisierungsziele des Green Deals und Biodiversität bedingen sich in vielen Bereichen, doch bestehen Zielkonflikte“, erklärt Stickling. Finanzinstitute sind nun gefordert, ihre Investitionsstrategien am Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) auszurichten, das fordert, Abhängigkeiten und negative Effekte auf Biodiversität zu mindern. Das 2022 in Montreal vereinbarte Abkommen fördert zum Beispiel den Nature-Positivity-Ansatz, der auf den Nettozuwachs an Artenvielfalt durch den Schutz natürlicher Lebensräume abzielt.

Standardisierung von Daten fehlt

Ein zentrales Hindernis für das Management von Biodiversitätsrisiken ist die fehlende Standardisierung der Daten. Anders als bei CO2-Emissionen gibt es keine einheitliche Maßeinheit für Biodiversität. Laut Deutschem Sparkassen- und Giroverband (DSGV) befindet man sich „noch in der Analysephase“ und beobachtet die regulatorischen Anforderungen genau.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hebt hervor: „Die Erhebung von Daten zu Biodiversität ist methodisch anspruchsvoll, häufig lokal verortet und teilweise eingeschränkt vergleichbar.“ Generell ist die Datenproblematik eine Herausforderung.

Die staatlich unterstützte Initiative Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) entwickelt zwar Indikatoren zur Risikobewertung, doch die fehlende Standardisierung dieser Indikatoren erschwert die umfassende Integration in das Bankwesen. Ungeachtet der schwierigen Datenlage schätzt die Weltbank, dass ein Verlust an Biodiversität das globale Bruttoinlandsprodukt bis 2030 um 2,7 Bill. Dollar senken könnte, was die Bedeutung zuverlässiger Biodiversitätsdaten verdeutlicht.

Wertminderungen als Folge

Die Berücksichtigung von Biodiversitätsrisiken stellt für Banken und Sparkassen eine Herausforderung dar. Physische Risiken, wie die Verschlechterung von Ökosystemen, können den Wert von Anlagen und Krediten mindern. Der Dachverband der Volks- und Raiffeisenbanken BVR argumentiert, dass Biodiversitätsrisiken aus der Sicht von Banken keine eigenständige Risikokategorie seien, sondern Risikotreiber. Der Rückgang biologischer Vielfalt (Beispiel: Bienensterben) könne sich aber als physisches Risiko (Nichtbestäubung von Apfelbäumen) oder transformatorisches Risiko (Verbot von Glyphosat) auf die Wirtschaftsaktivität der Unternehmenskunden einer Bank auswirken. „Dann wiederum kommt dieses Risiko in Gestalt von Kredit-, Liquiditäts-, Markt- oder operationellen Risiken auf die Bank zu“, so der BVR. Insofern sei das Biodiversitätsrisiko schon heute Bestandteil des Kanons der ESG-Risiken und werde aus aufsichtsrechtlichen Gründen betrachtet.

Regulatorische Anforderungen

Die Finanzbranche steht ohne Zweifel vor einem Wandel, bei dem Biodiversitätsrisiken als zentrales Thema in das Risikomanagement integriert werden müssen. Die Anforderungen der CSRD, die Regularien der Aufsichtsbehörden und die Biodiversitätsstrategie 2030 machen deutlich, dass naturbezogene Risiken bald ebenso wichtig wie Klimarisiken sein werden.

Für die Sparkassendachorganisation DSGV ist Biodiversität ebenfalls ein zunehmend wichtiges Thema. „Wir beobachten die Entwicklungen rund um Biodiversität und Nachhaltigkeit genau.“ Biodiversität sei ein Thema, das im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse betrachtet werde.

Obwohl die regulatorischen Vorgaben zunehmen, bleibt die praktische Umsetzung eine Herausforderung. „Die Biodiversitätskrise kommt nicht mit Wirbelstürmen und Waldbränden daher, sondern still und schleichend – gerade das macht sie so gefährlich“, sagt Stickling. Dennoch zeigen Initiativen wie das Network for Greening the Financial System (NGFS), dass sich naturbezogene Risiken zunehmend wissenschaftlich fundiert und global adressieren lassen.

Es gibt auch Chancen

Neben den Risiken gibt es auch Chancen. Banken könnten naturfreundliche Projekte gezielt unterstützen. Laut Bankenverband können Institute Kapital für naturbasierte Lösungen bereitstellen, was auch zu einer stärkeren Nachhaltigkeitsorientierung beiträgt. „Zum Beispiel durch Investitionen in die Erhaltung von Wäldern und Mooren, die als CO2-Senken eine Doppelrolle für Klima- und Biodiversitätsschutz spielen“, ergänzt ZEB-Partner Stickling.

Mit einem gezielten Engagement in biodiversitätsfreundlichen Projekten können Banken zudem einen entscheidenden Beitrag leisten, sich nachhaltig zu positionieren und gar eine Führungsrolle bei dem Thema einzunehmen. Denn durch die Integration naturbezogener Chancen und Risiken kann die Finanzbranche zur Bewältigung der Biodiversitätskrise beitragen – für eine zukunftssichere und naturbewusste Finanzwelt.

Neu: ESG PRO
Jetzt weiterlesen mit ESG PRO
Alle Artikel zu ESG-Themen in der Börsen-Zeitung
1 Monat für nur 1 € testen
Danach im günstigen Einführungsangebot:
6 Monate für nur 34,90 €