Neapel ist (auch) ein Hightech-Zentrum
Es ist nicht so, dass in Süditalien früher nicht investiert worden wäre. Doch die Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung sind immer wieder enttäuscht worden. Davon zeugen das Stahlwerk von Taranto und die vielen Straßen und Brücken, die im Nichts enden. Auch das Stahlwerk von Bagnoli ist so ein Beispiel. Das einst größte Industrieareal Süditaliens in einem Stadtteil Neapels schloss 1992. Die Reste der Fabrik rosten vor sich hin und Bagnoli, früher ein Thermalbad, verfällt – ebenso wie die riesige kommunale Markthalle, die nie eröffnet wurde.
Dennoch ist Antonio Giacomini mit seiner Firma Innovaway hier eingezogen. In den riesigen Räumen sieht es aus wie in einem Callcenter. Junge Leute sitzen vor Computern und telefonieren. Sie helfen international tätigen Banken, Versicherungen, Modekonzernen und Transportunternehmen bei Fragen zur IT. 1250 Mitarbeiter hat Innovaway, davon 850 in Neapel. IT-Experten, meist Absolventen der umliegenden Hochschulen, entwickeln neue Dienstleistungen und Lösungen. Innovaway will nun nach Deutschland expandieren. Giacomini schließt auch einen Börsengang nicht aus.
Neapel lebt vor allem vom Tourismus, der wieder in Schwung kommt. Doch um die Universitäten von Salerno, Benevento und Neapel sind Hightech-Unternehmen entstanden, die sich anschicken, international zu expandieren. Vielleicht sind es eher Initiativen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für sie, die Süditalien helfen, als Großprojekte wie einst Bagnoli.
„Wir haben die Talente und die Universität. Wenn wir nun auch die Infrastrukturen bekommen, können wir den Aufschwung schaffen“, sagt Giovanni Lombardi, Gründer und CEO von Tecno. Begonnen hat er nach einem Wirtschaftsstudium und einem Master in Energie als Unternehmensberater. Er entdeckte den großen Bedarf an Beratung zur Reduzierung des Energiebedarfs und machte ein Geschäftsmodell daraus. Mittels eigenentwickelter digitaler Plattformen überwacht Tecno den Energieverbrauch, Emissionen und Produktionsstrukturen bei über 3500 Kunden. Die Daten werden über Sensoren in Echtzeit übertragen. Grüne, gelbe und rote Balken auf den Bildschirmen übermitteln die aktuelle Lage. Leuchtet es rot, besteht Handlungsbedarf. Die Kunden erhalten dann Warnmeldungen auf ihren Smartphones. Im Bedarfsfall schickt Tecno schnell Fachleute. Tecno kommt auf einen Umsatz von 30 Mill. Euro. Zwei Drittel der 140 Mitarbeiter, Durchschnittsalter 33, haben einen Hochschulabschluss. Die Mitarbeiterzahl soll sich bis Ende 2022 verdoppeln und Lombardi will nach Deutschland expandieren.
Süditalien soll 40% der rund 200 Mrd. Euro bekommen, die Italien aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm erhält: für schnelle Züge, schnelles Internet, Digitalisierung, Steuererleichterungen und den Ausbau von Schulen und Hochschulen. Michele Gubitosa ist optimistisch, dass es diesmal klappt.
Der Gründer und Präsident der HS Company in der Nähe von Avellino, im Hinterland von Neapel, begann mit 17 in einem Computerladen in Avellino zu arbeiten. Mit 18 eröffnete er einen eigenen Laden in seinem Heimatdorf und schraubte Rechner für Private zusammen. Er steckte das verdiente Geld in den Aufbau einer IT-Beratung und IT-Wartung von Unternehmen. Auf seiner Kundenliste stehen Finanzbehörden, die Post, die Staatseisenbahn und viele andere. Die 250 Mitarbeiter können von hier mit Hilfe der im Haus entwickelten Algorithmen die Computersysteme der Kunden überwachen und intervenieren. Bei Bedarf wird sofort einer der über ganz Italien verteilten 250 Servicemitarbeiter aktiviert.
Gubitosa, heute als Abgeordneter der 5-Sterne-Bewegung im Parlament in Rom, will dafür sorgen, dass es die neue Generation einfacher hat. Er hat nie öffentliche Hilfen erhalten. Auf eigene Kosten ließ er Parabolantennen für guten Internetempfang einrichten. „Aber 90% meiner Zeit gingen für Bürokratie drauf“, sagt Gubitosa. „Ob sich alle Blütenträume erfüllen, hängt davon ab, ob die Reformen, die Regierungschef Mario Draghi versprochen hat, umgesetzt werden“, meint Giuseppe Arleo, der für den Thinktank Competere arbeitet und sich mit der Verwendung der Mittel des Aufbauprogramms beschäftigt. Schon früher wurden Reformen versprochen, aber dann vergessen bzw. nicht umgesetzt.