LEITARTIKEL

Nerds im Cyberkrieg

Es ist ein ungewöhnlicher Verbündeter, der sich da auf die Seite derer geschlagen hat, die gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen: Anonymous, ein loses Netzwerk von Hackern, das wiederholt durch orchestrierte Angriffe auf Internetseiten von...

Nerds im Cyberkrieg

Es ist ein ungewöhnlicher Verbündeter, der sich da auf die Seite derer geschlagen hat, die gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen: Anonymous, ein loses Netzwerk von Hackern, das wiederholt durch orchestrierte Angriffe auf Internetseiten von Unternehmen, Behörden und anderen Institutionen aufgefallen ist, die nach Einschätzung der “Hacktivisten” irgendwie zur Zensur im Internet beitragen, hat der Terrororganisation unmittelbar nach den Anschlägen vor knapp zwei Wochen in Paris den “totalen Cyberkrieg” erklärt.Während der französische Präsident François Hollande ein ziemlich strammes Programm abarbeitet, um die Vergeltungsmaßnahmen gegen den IS auf eine breite Koalition stützen zu können, sabotieren die Hacker den Auftritt der Terroristen in sozialen Medien und machen sich an den Konten des IS zu schaffen. Mehr als 5 000 Twitter-Accounts wollen die Hacktivisten bereits stillgelegt haben. Außerdem behauptet Anonymous, Zugriff auf Konten des IS zu haben und rund 3 Mill. Dollar in der digitalen Währung Bitcoins eingefroren zu haben.Womit man dem Islamischen Staat den größeren Schaden zufügen kann, mit Raketen, Bomben und irgendwann vielleicht sogar mit Bodentruppen oder mit Angriffen auf soziale Medien und Bankverbindungen, ist gar nicht so eindeutig abzuschätzen. Einigkeit herrscht unter sogenannten Terrorexperten darüber, dass der IS seinen “Dschihad” auch im Cyberspace austrägt und hier mit den Schreckensbildern aus dem Kalifat um Aufmerksamkeit, Sponsorengelder und Nachwuchskräfte wirbt. Das sogenannte “fünfte Schlachtfeld” neben Land, Luft, Wasser und Weltraum gewinnt also auch im asymmetrischen Krieg mit Terrororganisationen wie dem IS an Bedeutung.Die Spam-Attacken eines Hacker-Kollektivs, das die Nutzung von sozialen Medien etwa durch massenhafte Postings von Musikvideos aus den späten achtziger Jahren torpediert (“Rickrolling”), werden in diesem Kampf aber wohl nicht den Ausschlag geben. Anonymous hatte dem IS schon im Januar den Krieg erklärt, nachdem die Satirezeitschrift “Charlie Hebdo” Ziel der Terroristen geworden war. Dass das Terrornetzwerk selbst womöglich über Kapazitäten für den Cyberkrieg verfügt, die über Online-Propaganda hinausgehen, machte der Angriff auf die Internetseiten des französischen Fernsehsenders TV5 Monde im April deutlich. Bis heute ist allerdings nicht geklärt, ob dieser Angriff nicht doch eher auf eine russische Hackergruppe zurückgeht, die sich dann als “CyberCaliphate” ausgab.Einmal abgesehen von der Frage, wer über die besseren Hacker verfügt, könnte die Kriegserklärung von Anonymous an den IS vor allem indirekt ihre Wirkung entfalten. Bislang ist das nordatlantische Militärbündnis Nato im Cyberkrieg bemüht, den Defensivcharakter der eigenen Fähigkeiten hervorzuheben – von den USA einmal abgesehen. Das in Estland eingerichtete “Cyber Defence Centre of Excellence” der Bündnisstaaten hat das passende Türschild dazu. Dass sich die Cyber-Kommandeure auf Dauer die Show von ein paar Hackern stehlen lassen, wenn es in die Offensive geht, darf man allerdings bezweifeln.Aber auch Unternehmen könnte sich durch die Offensivaktionen von Anonymous bestärkt sehen, selbst ihre offensiven Kapazitäten für den Cyberkrieg auszubauen. So vertreten manche Experten schon länger die Meinung, dass nur ein Gleichgewicht des Schreckens die Sicherheit von Firmen vor Cyberangriffen erhöhen kann. Statt immer nur in Früherkennungssysteme und andere Abwehrmaßnahmen gegen Hacker zu investieren, sollten sie eigene Angriffswaffen in Stellung bringen, die die potenziellen Kosten einer Cyberattacke für den Angreifer erhöhen.Allein, der Angriff auf TV5 Monde ist nur ein Beispiel dafür, wie schwer Freund und Feind oder eben unterschiedliche Feinde im Cyberkrieg auseinanderzuhalten sind. Kritiker von Anonymous haben bereits darauf hingewiesen, dass viele der in den vergangenen zwei Wochen angegriffenen Twitter-Accounts nicht in Verbindung mit dem IS stehen. Auch Internetnutzer, die sich über das Terrornetzwerk lustig machten, gerieten ins Fadenkreuz der Hacktivisten, es kam zu Verwechslungen und dergleichen Pannen mehr. Durch die Interventionen von Anonymous sei es auch für Sicherheitsbehörden schwieriger geworden, den Aktivitäten des Terrornetzwerks zu folgen. Der Cyberkrieg der Nerds mit Gesichtsmasken von Guy Fawkes ist ein Public-Relations-Coup mit einer Menge Kollateralschäden. Er sollte auch abseits des Kampfes gegen den IS keine Nachahmer finden.——–Von Stefan ParaviciniAnonymous geht gegen den Islamischen Staat in die Offensive. Unternehmen sollten sich an dem Hacker-Kollektiv kein Beispiel nehmen.——-