LEITARTIKEL

Neue Übernahmewelt

Alles zurück auf Heimat: Übernahmen und Fusionen (Mergers & Acquisitions, kurz M&A) werden nationaler. Zum Ende des erstaunlich lange laufenden M&A-Zyklus, der enorm von der Globalisierung profitiert hat, ändert sich die Szene grundlegend. Schön ist...

Neue Übernahmewelt

Alles zurück auf Heimat: Übernahmen und Fusionen (Mergers & Acquisitions, kurz M&A) werden nationaler. Zum Ende des erstaunlich lange laufenden M&A-Zyklus, der enorm von der Globalisierung profitiert hat, ändert sich die Szene grundlegend. Schön ist die neue Übernahmewelt nicht – aber anders.Dafür sorgen vor allem Regulatorik und politische Einflüsse, getrieben von der nationalistischen Politik des US-Präsidenten mit Handelsstreitigkeiten, Protektionismus und Abschottung. In den ersten sechs Monaten 2019 ist der M&A-Markt zwar global nur um 11 % niedriger gewesen als in der ersten Halbzeit des Vorjahres. Doch die Gewichte haben sich stark verschoben. Die zehn größten angekündigten Deals auf dem Globus sind sämtlich “domestic”. Angefangen von den 93 Mrd. Dollar, die der Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb für Celgene bietet, über die 89 Mrd. Dollar, die United Technologies für Raytheon-Rüstung bietet, bis zu den 84 Mrd. Dollar, mit denen Abbvie für den Botox-Hersteller Allergan ins Rennen geht, sind es sämtlich nationale Transaktionen (auch wenn Allergan den rechtlichen Sitz in Irland hat). Da die USA die größte nationale Volkswirtschaft sind, haben amerikanische Konzerne auch die besseren Karten, mit M&A zu wachsen.Für Interessenten aus anderen Ländern wird es dort, wo bisher galt, dass nahezu alles käuflich ist, wenn nur der Preis stimmt, zunehmend schwerer, Fuß zu fassen. Und dafür steht nicht nur die Ausgrenzungskampagne gegen Huawei. Unter den Top-10-Deals weltweit ist 2019 nur eine Übernahme außerhalb der Vereinigten Staaten: Der Chemiekonzern Sabic geht für 60 Mrd. Dollar an Aramco – auch hier ein nationales Spiel, denn beide Seiten sitzen in Saudi-Arabien. Unter den europäischen Adressen stechen drei mutige Konzerne aus Deutschland hervor. Infineon offeriert über 14 Mrd. Dollar für den US-Rivalen Cypress, das Stiftungsunternehmen ZF Friedrichshafen ist für 7 Mrd. Dollar beim amerikanischen Bremsenhersteller Wabco vorgefahren und Merck hat sich den amerikanischen Halbleiterzulieferer Versum für 6,5 Mrd. Dollar gesichert.Megadeals geben das M&A-Tempo vor. Ohne die amerikanischen Transaktionen mit jeweils über 10 Mrd. Dollar wäre das Volumen im zweiten Quartal deutlich niedriger ausgefallen, denn die Gesamtzahl der Deals ist weltweit auf den niedrigsten Quartalsstand seit 2008 gesunken. Geopolitische Risiken, die das Vertrauen belasteten, wie der Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie Europa, das Säbelrasseln in Washington, die Gefahren der militärischen Konfrontation mit dem Iran, erhöhen die Unsicherheit. Dies wird teilweise von unterstützenden Finanzmärkten ausgeglichen, die große Akquisitionen ermöglichen. Eine sinkende Zahl öffentlich gehandelter Unternehmen, das Wachstum der außerbörslichen “Private Pools of Capital”, der scharfe Rückgang der asiatischen Käufer und ein wachsender Shareholder-Aktivismus sind die derzeitigen M&A-Trends.Die Dominanz der USA hat zur Folge, dass europäische Investmentbanken weiter zurückfallen. Global schafften es lediglich Credit Suisse und Barclays unter die Top 10 (laut Refinitiv). In Europa dominieren US-Adressen ebenfalls. Die Deutsche Bank steht auf Platz 11 und im Heimatmarkt nur an 13. Stelle.Große angloamerikanische Investorengruppen lassen sich von dem politisch und regulatorisch grassierenden Nationalismus indes nicht anstecken. In erster Linie sind es Hedgefonds, die als Aktivisten ihren Heimatmarkt USA inzwischen abgegrast haben und stärker nach Europa, aber auch nach Japan oder Korea drängen. Sie sitzen mal als Treiber, dann wieder als Verhinderer von M&A am Tisch – und verteuern vielfach die Deals. Sie dringen auf Spin-offs und Verkäufe von Geschäftseinheiten und sind noch immer vielfach unterschätzte Spieler. Europaweit wurden im vorigen Jahr 160 Unternehmen Ziel der Kampagnen.Der Druck der Hedgefonds auf Verkäufe spielt Private Equity vielfach in die Hände. So ist die zweite Investorenspezies, die sich nicht um nationale Grenzen scheren muss und die für eine höhere Schlagzahl im Markt sorgen kann, diese Finanzinvestoren. Aktuell sind sie drauf und dran, Axel Springer und Osram zu kapern. Und die Tiergesundheit von Bayer könnte 9 Mrd. Dollar erfordern. In Europa steht EQT mit der Nestlé-Gesundheitssparte für 10 Mrd. Dollar auf Platz 1 in diesem Jahr. In der neuen Übernahmewelt sind, gerade auch vor dem Hintergrund der sich eintrübenden Konjunktur, diese Investoren auf dem Vormarsch.——Von Walther BeckerDie Abschottungspolitik der USA zeigt am M&A-Markt Wirkung. Die Megadeals sind sämtlich inneramerikanisch. Aktivisten und Private Equity sind Treiber.——