LEITARTIKEL

Neue Übernahmewelt

Bei 3,3 Bill. Dollar hat die Nadel nach drei Quartalen dieses Jahr haltgemacht. Damit ist das Volumen der angekündigten Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M & A) 40 % größer als in der gleichen Zeit 2017. Angeführt wird die Liste von...

Neue Übernahmewelt

Bei 3,3 Bill. Dollar hat die Nadel nach drei Quartalen dieses Jahr haltgemacht. Damit ist das Volumen der angekündigten Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M & A) 40 % größer als in der gleichen Zeit 2017. Angeführt wird die Liste von Japans Pharmakonzern Takeda, dem US-Gesundheitsdienstleister Signa, T-Mobile US, dem amerikanischen Kabelkonzern Comcast und Eon mit Innogy. Doch die Megadeals beherrschten nur in den ersten Monaten das Bild, weil die Trump’sche Steuerreform ein Strohfeuer auslöste. Der Sommer war auch in dieser Hinsicht ausgesprochen trocken, und auch das vierte Quartal bringt keine Belebung. Damit dürfte das M&A-Volumen dieses Jahr in etwa so stark werden wie 2016. Der deutsche Markt – hier stehen die zehn größten Deals für 60 % des Gesamtvolumens – sollte mit Innogy und Unitymedia das drittstärkste Jahr seit 2007 absolvieren.Die Aussichten für 2019 sind ausgesprochen mau, der Mut für Wagnisse lässt unter Entscheidungsträgern signifikant nach, sie warten ab. Der Wind hat sich gedreht, die Übernahmewelt ist heute eine andere. Und dafür sind auch solche Fehlschläge wie die Monsanto-Übernahme durch Bayer, die zig Milliarden an Wert vernichtet hat, und die lange Hängepartie von Linde/Praxair eine der Ursachen. Beide sind Belege für “Endspiele” der Branchenkonzentration: in Agrochemie und Industriegasen.Von allen Treibern, die den M&A-Boom der vergangenen zehn Jahre befeuert haben, ist vor allem einer noch intakt: der Mangel an organischem Wachstum der Unternehmen. Aus eigener Kraft größer und ergebnisstärker zu werden fällt schon seit Jahren in den meisten Branchen schwer, zumal allenthalben zu wenig ins operative Geschäft investiert worden ist. Immer stärker an Gewicht gewinnt auch am M&A-Markt die Digitalisierung, die jeden Manager in Zeiten, in denen Industriekonzerne sich am liebsten als Softwarehäuser gerieren, in Zugzwang bringt. Doch M & A, um sich aus Kapitalmarktsicht digital und disruptiv zu profilieren, wirft Fragen in der neuen Übernahmewelt auf: Wie lassen sich Technologien bewerten? Wird sich 30-mal Umsatz auszahlen?Ein weiterer Treiber für M & A ist die von Aktionärsaktivisten lautstark geforderte Konzentration und Fokussierung, die Spin-offs treibt und Private Equity Kaufgelegenheiten verschafft. Schließlich ist Größe der Spezialisierung gewichen. Auch die Änderung von Konsumgewohnheiten und Trends aus “sozialen” Medien können auf Strategie und Portfoliostruktur von Unternehmen durchschlagen.Zahlreicher als die Treiber sind die Belastungsfaktoren. Dazu zählt die konjunkturelle Eintrübung, die langsam spürbar wird, zumal klar ist, dass die Wirtschaft eigentlich schon viel zu lange viel zu gut gelaufen ist. Hinzu kommt die wachsende Ungewissheit über die politische Stabilität – wie der Blick in die USA, nach Großbritannien, in den Nahen Osten oder nach Italien zeigt. Wie das Finanzierungsumfeld in zwölf oder 24 Monaten aussieht, lässt sich angesichts steigender Zinsen und Credit-Spreads auch schwer vorhersagen. Die Zeiten, in denen Geld gar nichts gekostet hat, sind vorbei – so viel ist klar. Hauptbelastungsfaktor aber ist die Unsicherheit der Regulierung. Eric Fellhauer, Co-Chef von Lazard in Deutschland und ein “alter Hase” als M&A-Berater, erkennt eine Zeitenwende: Jahrzehntelang habe der M&A-Markt Rückenwind von Deregulierung, Privatisierung, in der Geldpolitik und der Bankenunterstützung erhalten.Das hat sich geändert. Da, wo sie können, greifen Staaten heute ein: Protektionismus und ein wachsender “Sanktionismus”, Verschärfungen im Außenwirtschaftsrecht, von der Politik getrieben intensivere Wettbewerbsprüfungen sind die Folge. Gerade für deutsche Unternehmen sind US-Ziele bisher stets käuflich gewesen – wenn denn der Preis stimmte. Das ändert sich gerade tiefgreifend. Und die Kriterien sind intransparent, wie CFIUS, der berüchtigte Kontrollausschuss der US-Regierung, demonstriert. Das hat Folgen für die bisher herrschende Offenheit in Deutschland: Auch Berlin setzt stärker auf Restriktionen, senkt die Eingriffschwellen und weitet die Kontrollrechte aus. Damit werden Transaktionsprozesse ungewisser, dauern länger, werden teurer und komplexer. Gleichzeitig halten sich Chinesen auch auf Druck Pekings zurück, was die potenzielle Käuferschar einengt. Hinter die ausschlaggebenden Faktoren für M & A sind insofern immer mehr Fragezeichen zu setzen. Vorsicht ist daher in der neuen Übernahmewelt noch stärker als bisher die Mutter der Porzellankiste.—–Von Walther BeckerÜbernahmen werden ungewisser, dauern länger, werden teurer und komplexer. Und die Digitalisierung wirft Bewertungsfragen auf.—–