Notiert inBrüssel

Nie unter zehn Gängen

Belgier lieben Radfahren – aber nur als Sport mit dem Rennrad, nicht als Möglichkeit, sich ins Büro zu bewegen. Doch das könnte sich nun vielleicht ändern.

Nie unter zehn Gängen

Notiert in Brüssel

Nie unter zehn Gängen

Von Detlef Fechtner

Brüssel ist nicht nur die Hauptstadt Europas, sondern auch die Hauptstadt der Euro-Expats, der Zugezogenen aus allen Teilen Europas. Nur in wenigen anderen Metropolen wohnen so viele Finnen, Malteser und Slowenen in einer Straße zusammen. In einigen Vierteln dominieren sogar einzelne Nationalitäten. Etwa in Wezembeek-Oppem – einem Flecken am Stadtrand, der wegen der vielen dort lebenden Deutschen im Volksmund „Sauerkrauthügel“ genannt wird.

Dass dort, im Osten Brüssels, viele Teutonen wohnen, erkennt man im Winter daran, dass morgens Schnee auf Bürgersteigen geschippt wird – ein Dienst an der Nachbarschaft, der unter Belgiern wenig verbreitet ist. Und im Sommer ist auffällig, wie viele Menschen sich aus Wezembeek mit dem Fahrrad Richtung Stadtmitte aufmachen. Denn ins Büro zu radeln ist ebenfalls unter Belgiern nicht besonders populär.

Radfahrerland Belgien

Das mag auf den ersten Blick überraschen. Ist Belgien nicht das große Land des Radsports? Die Heimat von Eddy Merckx, dem fünfmaligen Sieger bei der Tour de France und beim Giro dItalia? Und von Lucien van Impe, dem legendären Gewinner unzähliger Bergwertungen? Oder dem Asphalt-Flitzer und Vuelta-Gesamtsieger Remco Evenepoel, der vor wenigen Monaten – erstmals in der Geschichte des Straßenrennsports – gleich zweimal Gold bei einer Olympiade geholt hat. Zudem ist das Land Austragungsort der weltberühmten Flandern-Rundfahrt und des berüchtigten Berg-und-Tal-Rennens Lüttich–Bastogne–Lüttich.

In der Tat genießt Radfahren große Beliebtheit bei den Belgiern, auch als Breitensport. Samstags sind die Durchfahrtswege durch den Hauswald Brüssels, den Bois de la Cambre, für Motorverkehr gesperrt, damit Radrennfahrer freie Fahrt haben – und diese Chance wird rege genutzt. Auch in Flandern ist wochenends auf den Fahrrad-Highways die Hölle los. Aber als Verkehrsmittel für den Weg zu Arbeit oder Sportplatz kommt das Zweirad nur wenigen Belgiern in den Sinn. Das Angebot an Drei-Gang-Stadträdern in den Radläden ist daher dürftig, beginnt doch für den Belgier ein Fahrrad erst bei zehn Gängen. Rücktritt übrigens ist selbstverständlich verpönt.

Neue Radwege in Brüssel

Das könnte sich ändern. Also nicht das mit dem Rücktritt. Aber das mit der Nutzung des Fahrrads im Alltag. Denn lange zählte Brüssel zu den gefährlichsten Parcours für Radfahrer. Selbst einige innerstädtische Durchfahrtsstraßen sind so schmal, dass schon Autos ihre Mühe haben, aneinander vorbeizukommen – taucht dann noch ein Radler auf, wird es schnell brenzlig.

Doch die Stadtverwaltung hat nun auf wichtigen Achsen Spuren für den Radverkehr umgewidmet, etwa auf dem Boulevard, der durch das Europaviertel führt, der Rue de la Loi. Entsprechend sportlich jagen dort mittlerweile Pendler auf Rennrädern ins Büro, was bedeutet: Die Gefahr, von einem Auto erwischt zu werden, ist deutlich gesunken. Aber das Risiko eines Zusammenpralls mit einem anderen Zweirad ist dramatisch gestiegen.

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