Ja, mach nur einen Plan!
Britische Geldpolitik
Ja, mach nur einen Plan!
Von Andreas Hippin
Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung abzugeben, ist mehr Minenfeld als Wissenschaft. Die Bank of England stolpert öfter.
Wer schon einmal versucht hat, ernstzunehmende Vorhersagen zur Wirtschaftsentwicklung zu erstellen, wird nicht allzu hart mit denen ins Gericht gehen, die mit ihren Schätzungen danebenliegen. Prognosen sind eben schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Ob dieses Bonmot auf Mark Twain, Yogi Berra oder ein vom Atomphysiker Niels Bohr populär gemachtes dänisches Sprichwort zurückgeht, weiß keiner so genau. Und auch viele vermeintlich harte Daten, die von der Bank of England für ihre geldpolitischen Entscheidungen herangezogen werden, sind in Wirklichkeit wachsweich, wie sich zuletzt an den Angaben des Statistikamts ONS zur Arbeitslosigkeit zeigte. Die Zahl der Umfrageteilnehmer der Labour Force Survey war so stark zurückgegangen, dass auf dieser Grundlage keine Aussagen mehr getroffen werden konnten.
Glaube an die Unfehlbarkeit
Es ist so wie in der Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens von Bertolt Brecht beschrieben: "Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht." All das wäre unproblematisch, hätten die Notenbanker in der Threadneedle Street nach der Finanzkrise nicht einen ähnlichen Status erhalten, wie ihn einst die Masters of the Universe aus den Investmentbanken innehatten. Der Glaube an ihre Unfehlbarkeit galt als Voraussetzung dafür, dass die britische Wirtschaft so reibungslos läuft wie ein Rolls-Royce-Triebwerk. Sie waren schließlich Vertreter einer Wissenschaft, die auf Gesetze der Thermodynamik zurückgriff, um Finanzmärkte besser zu verstehen.
Garbage in, garbage out
Nun zeigt sich immer mehr, dass die Zauberer von Oz, die sich hinter einer so mächtigen Maschinerie verstecken, viel weniger vorhersehen können, als sie einen gerne glauben machen würden. Man muss nicht bis zu den apokalyptischen Prognosen der Old Lady of Threadneedle Street zurückgehen, die vor dem EU-Referendum 2016 für den Fall ausgegeben wurden, dass die Bürger es wagen sollten, für den Austritt aus der Staatengemeinschaft zu stimmen. Das Schatzamt machte damals die erstaunlich präzise Aussage, dass der Brexit jeden Haushalt 4.300 Pfund kosten würde. Und immer wieder erwiesen sich die Schätzungen der Zentralbankökonomen und Karrierebeamten als viel zu pessimistisch. Erst im November 2022 sagte der amtierende Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, den Briten eine langandauernde Rezession voraus, in die das Land bis heute nicht gerutscht ist. Woran das liegt? Es könnte an der Liebe zu komplexen makroökonomischen Computermodellen liegen, bei denen kleine Abweichungen mitunter enorme Unterschiede bei den Ergebnissen hervorrufen. Datenwissenschaftler kennen das Problem: Garbage in, garbage out.
Wahlen wirken auf die Geldpolitik
Es könnte aber auch einfach so sein, dass es sich in vielen Fällen um als Wissenschaft verkleidete Politik handelt. Das Timing der ersten Zinssenkung wird natürlich auch davon bestimmt, dass im Vereinigten Königreich im kommenden Jahr Unterhauswahlen anstehen. Macht die Bank of England den ersten Schritt schon vor dem Wahltermin, könnte man ihr unterstellen, den regierenden Tories damit einen Gefallen zu tun. Da kann man als Geldpolitiker noch so sehr betonen, dass man sich nur von den Daten leiten lasse. Es ist schlichtweg nicht damit zu rechnen, dass sich die Mitglieder des Monetary Policy Committee in eine solche Zwickmühle begeben werden. Derzeit wird allgemein davon ausgegangen, dass im Mai gewählt wird. Also wird bis dahin nicht gesenkt, nach den Wahlen dafür wohl umso schneller.
Haushaltsentwurf birgt Inflationsgefahr
Die Wahlen bringen noch weitere Komplikationen für die Geldpolitik mit sich. Denn wer weiß schon, was die auseinanderfallende Konservative Partei den Wählern in der Hoffnung, sich an der Regierung halten zu können, alles versprechen wird? Was Schatzkanzler Jeremy Hunt in seinem Autumn Statement ankündigte, wird die Inflation nach bisheriger Einschätzung nicht wieder nach oben treiben. Doch der im Frühjahr von ihm zu erwartende Haushaltsentwurf könnte ganz anders aussehen. Schließlich werden von der Basis und aus der Fraktion vehement Steuersenkungen gefordert. Da kann man nur froh sein, wenn man selbst keine belastbaren Prognosen zu den Inflationserwartungen abgeben muss. Denn das ist mehr Minenfeld als Wissenschaft.