Italienisch oder nicht?
Schon seit Wochen biegen sich die Regale in den Supermärkten unter dem Gewicht der Panettone, der traditionellen italienischen Weihnachtskuchen. Der Pandoro, den Italiens bekannteste Influencerin Chiara Ferragni 2022 für den Süßwarenhersteller Balocco „entworfen“ hat, ist in diesem Jahr aber nicht dabei. Dennoch ist er in aller Munde.
Denn die italienische Wettbewerbsbehörde hat Ferragni, die inzwischen auch Kollektionen für Dior und Chanel entwirft und beim Schuhproduzenten Tod’s im Aufsichtsrat sitzt, zu einer Zahlung von 1 Mill. Euro verurteilt – „wegen unlauterer Geschäftspraktiken“. Der Vorwurf: Der Aufdruck auf der Verpackung und Ferragnis Postings in den Sozialen Medien hätten den Eindruck erweckt, mit dem Verkauf würden Spenden für krebskranke Kinder gesammelt.
Doch Balocco habe im Vorfeld gerade einmal 50.000 Euro an ein Kinderkrankenhaus gespendet, während Ferragni mehr als 1 Mill. Euro am Verkauf des Produkts für 9 Euro pro Stück statt der sonst üblichen 3,70 Euro verdient habe. Ferragni will die Entscheidung anfechten, entschuldigte sich aber, den Tränen nahe, über Instagram für ihren „Kommunikationsfehler“. Sie will 1 Mill. Euro an das Kinderkrankenhaus Regina Margherita spenden. Einen Hautgout hinterlässt die Episode bei der sich gern zu allem und jedem und zum moralischen Gewissen aufschwingenden Influencerin auf jeden Fall. Denn nun kam heraus, dass Ferragni mit der Firma Dolci Preziosi 2021 und 2022 ähnliche Verträge abgeschlossen hatte. Dabei ging es um Ostereier.
Anders als der Pandoro wird auf der Festtagstafel der Italiener Laborfleisch fehlen. Stolz verkündete Premierministerin Giorgia Meloni kürzlich, dass Italien als weltweit erstes Land Produktion, Verkauf, Herstellung für den Export und die Einfuhr von Lebensmitteln aus Zellkulturen verbietet. Verstöße sollen mit Geldbußen von bis zu 60.000 Euro sowie der Beschlagnahmung der Ware geahndet werden. Dass die erste Kammer des Parlaments das Verbot mit großer Mehrheit, interessanterweise bei Enthaltung der oppositionellen Sozialdemokraten, beschloss, fand naturgemäß den Beifall des mächtigen Agrarverbands Coldiretti, dem viele Abgeordnete „nahestehen“.
Die Schweine- und Rindfleischzüchter stellen eine mächtige Lobby im Land dar und Coldiretti sammelte zwei Millionen Unterschriften gegen die Zulassung synthetischen Fleisches. „Grazie Francesco“, lautete der Dank von Coldiretti-Chef Ettore Prandini an Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, Schwager Melonis, der sich zum Verteidiger der einheimischen Agrarprodukte aufschwang. Dabei übersah er geflissentlich den enormen Einsatz etwa von Pestiziden in Italiens Landwirtschaft. Aber Argumente zählen ohnehin wenig. Denn anders als etwa in Singapur, den USA oder in Israel ist künstlich erzeugtes Fleisch in Europa noch gar nicht zugelassen. Sollte die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit solche Produkte jedoch erlauben, müsste sie auch Italien genehmigen. Spitzenkoch Giorgio Locatelli, der in London arbeitet, hielte es für spannend, neue Produkte ausprobieren zu können.
Alberto Grandi, Professor an der Universität Parma, findet, man müsse mit den Mythen der italienischen Gastronomie aufräumen. Mit seiner Behauptung, Parmesan, Carbonara oder das Dessert Tiramisù seien weniger alt und weniger italienisch als behauptet und teilweise erst in der Nachkriegszeit entstanden, hat er vor einigen Monaten wütende Reaktionen vor allem von Lega-Chef Matteo Salvini geerntet. Grandi empfiehlt dem Rechtspopulisten, „Geschichte zu studieren“. Er will herausgefunden haben, dass die Carbonara aus Chicago kommt und die Tomatensoße in Spanien erfunden wurde. Grandi, der die Ergebnisse seiner Forschungen auch über den Podcast „DOI“ zur „wahren Geschichte der italienischen Küche“ verbreitet, lassen die Angriffe Salvinis und von Coldiretti kalt. Er schätze Italiens Spezialitäten gerade deshalb, weil sie sich erst im Laufe der Zeit zu dem entwickelt hätten, was sie heute seien, und Einflüsse aus dem Ausland aufgenommen hätten.