Im BlickfeldFinanzstabilität

Offene Immobilienfonds geschwächt, aber lebendig

Nach Zinswende und Immobilienpreisrutsch stehen die Anlageprodukte unter Druck. Doch die 2013 eingeführten Haltefristen für Anleger stabilisieren die offenen Immobilienfonds heute. Eine Anlegerflucht wie in der Finanzkrise ist unwahrscheinlich.

Offene Immobilienfonds geschwächt, aber lebendig

Offene Immobilienfonds geschwächt, aber lebendig

Reform aus dem Jahr 2013 schützt die Anlageprodukte vor neuem Kollaps

Von Jan Schrader, Frankfurt

Wenn die Aufsicht vor Risiken von Finanzprodukten warnt, hört die Branche genau hin. "Wenn die Abflüsse zu stark sind, kann man irgendwann nicht mehr genug Liquidität bilden", sagte BaFin-Präsident Mark Branson am Dienstag über offene Immobilienfonds, die für private Sparer aufgelegt werden. Dann bliebe nur noch die Aussetzung der Anteilsrücknahme, wie der deutsche Chefaufseher weiter festhielt.

Zwar verfügten die Fonds momentan über genügend Liquidität, wie Branson einschränkte. Doch die Branche erlebt eine Stressphase: Die Immobilienpreise sinken und nach der Zinswende haben Anleger mit Tages- und Festgeldangeboten längst eine sichere und solide verzinste Alternative. Nach Jahren hoher Zuflüsse in die Publikumsimmobilienfonds verzeichnet das Segment seit August unterm Strich Abflüsse, die von Monat zu Monat steigen. Im November zogen Anleger netto 276 Mill. Euro ab.

Einige Fonds schreiben rote Zahlen

Auch die Renditen stehen unter Druck: Im vergangenen Jahr warfen Immobilienfonds laut deutschem Fondsverband BVI lediglich 0,6% Wertzuwachs ab, während über ein Jahrzehnt hinweg im Durchschnitt jährlich 2,5% zu holen waren. Manche Fonds schreiben Verlust: Die DWS weist für ihren 8,2 Mrd. Euro schweren "Grundbesitz Europa" in der Retail-Anteilsklasse auf Jahressicht ein Minus von 2,3% aus, die 3,8 Mrd. Euro schwere Schwester "Grundbesitz Global" kommt hier auf minus 2,7%.

Der Park Tower in Frankfurt liegt im „Grundbesitz Europa“ der DWS. Per Ende September war das Bauwerk geschätzt 172,6 Mill. Euro wert, 2,2% weniger als ein halbes Jahr zuvor. Quelle: picture alliance / J.W. Alker

Der "Leading Cities Invest" von Kanam Grund verbucht nach einer deutlichen Abwertung der Immobilien im November auf Jahressicht sogar ein Minus von 9,7%. Der Fonds hatte gerade in jüngeren Jahren ein Portfolio aufgebaut und ist mit 872 Mill. Euro ein eher kleines Produkt. Einige große Fonds kommen aber trotz schwieriger Marktphase und einiger Immobilienabwertungen auf weiterhin vorzeigbare Renditen, etwa der "Hausinvest" der Commerz Real mit plus 2,2%, der "UniImmo: Deutschland" mit 2,9% und der "Deka-Immobilien: Europa" mit 3,1%. Das Segment zeigt sich damit heterogen.

Nachhall einer Krise

Eine Vertrauenskrise bleibt – zumindest theoretisch – möglich. Eine illiquide Anlageklasse einerseits und ein liquides Produkt wie ein offener Fonds andererseits sind im Zusammenspiel fragil. Ähnlich wie Banken, die in einer Krise eine Einlagenflucht fürchten müssen, macht ein abrupter Abfluss auch einen Immobilienfonds manövrierunfähig.

Im Oktober 2008, kurz nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, zogen Anleger insgesamt 6,9 Mrd. Euro aus offenen Publikumsimmobilienfonds in Deutschland ab. Zahlreiche Produkte wie der "CS Euroreal", "Kanam Grundinvest" und "SEB ImmoInvest" wurden im Zuge der Anlegerpanik eingefroren und später abgewickelt. Während die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Sicherheit von Spareinlagen beteuerte, fehlte ein vergleichbares politisches Versprechen für die Fonds.

Der Gesetzgeber schuf 2013 jedoch eine Mindesthaltefrist von zwei Jahren und eine Kündigungsfrist von einem Jahr, und zwar für alle Neuanleger. Für schon bestehende Fondssparer blieb die börsentägliche Kündigung möglich, allerdings nur bis maximal 30.000 Euro je Kalenderhalbjahr. Blieben Altmittel somit teilweise von den neuen Haltefristen verschont, sind alle neuen Sparer seither vollständig den neuen Regeln unterworfen. Seither fallen die Zu- und Abflüsse viel geringer aus, Immobilienfonds sind nun stabiler.

Der heutige BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch, damals Ministerialdirigent und dabei zuständig für Finanzmarktregulierung im Bundesfinanzministerium, hatte die Reform mit koordiniert. Am Dienstag lobte BaFin-Präsident Branson dann auch die "Bremswirkung" dieser Regeln als "sehr positiv".

Das heute rund 128 Mrd. Euro schwere Fondssegment ist tatsächlich weitgehend durch die Haltefristen geschützt. Nur etwa ein Drittel aller Fondsmittel, so schätzte die Ratingagentur Scope im März 2023, gehören zu Altanlegern und könnten jederzeit abgezogen werden. Diese langjährigen Sparer aber, so betont die Gesellschaft, seien langfristig orientiert.

Kanam hält Kopf über Wasser

Auch verfügen die Fonds über Geldpolster: Im Frühjahr 2023 lag die Liquiditätsquote, bezogen auf das gesamte Fondsvermögen, bei 14,6%, wie Scope in einer weiteren Marktstudie berichtet. Allerdings fällt das Niveau je nach Produkt unterschiedlich aus, doch die meisten Fonds kommen auf zweistellige Prozentwerte. Auch die Fremdkapitalquote der Produkte ist mit durchschnittlich 15,3% gemäß der Marktstudie überschaubar.

Auch der "Leading Cities Invest" bleibt trotz der Abwertung in November offen – damit hat Kanam Grund einen kritischen Moment überstanden. Die Liquiditätsquote lag zur Jahreswende bei 11,5%. Allerdings verkauft der Fonds einige Immobilien. "Der Verkaufserlös dient der Bedienung von vorliegenden Mittelrückgaben und der Bewirtschaftung des Fonds", schrieb die Gesellschaft vor wenigen Tagen zur Veräußerung des Bürogebäudes Greenside im schottischen Edinburgh. Einen Kaufpreis wird nicht genannt.

Der „Leading Cities Invest“ von Kanam Grund steht unter Druck und verkauft Objekte. Das Greenside im schottischen Edinburgh, per Ende Juni rund 20,8 Mill. Euro wert, fand gerade zu einem nicht genannten Kaufpreis einen neuen Eigentümer. Quelle: John Lord / CC BY 2.0 DEED

Der "Leading Cities Invest" startete erst im Jahr 2013 und zählt daher ausschließlich Anleger, die an die Mindesthalte- und Kündigungsfristen gebunden sind. Geschäftsführer Heiko Hartwig beschrieb im November in einem Videointerview mit dem Wirtschaftsdatendienst Drescher & Cie. das Kalkül der Anleger. Denn wer heute kündige, müsse auch etwaige Wertverluste hinnehmen, die sich bis zur Auszahlung der Mittel ergeben können. Zugleich rief er Anleger auf, Mut zu haben. "Das Szenario geht auch genauso wieder in die andere Richtung."

Konservativ taxiert

Hohe Wertabschläge wie im "Leading Cities Invest" sind allerdings selten. Meistens schafft die Bewertung Stabilität. Um die Immobilienwerte zu erfassen, beauftragen die Fondshäuser Gutachter, die im regelmäßigen Turnus die Verkehrswerte schätzen. Die so ermittelten Daten ändern sich weniger stark als diverse Preisindizes. Damit zeigt sich auch die Wertentwicklung der Fonds stabiler.

Der Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen (BIIS) verteidigt eine konservative Bewertungspraxis. Jedes Objekt sei einzigartig und die Preisentwicklung am Markt kein verlässlicher Indikator, sagt Geschäftsführer Gernot Archner. Es sei wichtig, das langfristige Potenzial einer Immobilie zu erkennen. "Der Verkehrswert ist kein Punktwert."

Zudem ist nicht jede Immobilie eine Belastung: Selbst in der aktuellen Marktphase steigen die Verkehrswerte zuweilen. Im "Hausinvest" erfuhr ein Gebäudekomplex nahe der Börse in Frankfurt in sechs Monaten bis Ende September eine Aufwertung, im "Grundbesitz Europa" gewann das Bürohaus "Metris" in München hinzu, im "UniImmo: Deutschland" zog das Hamburger Emporio an.

Investoren mit Sitzfleisch

Auch im Anlagesegment der institutionellen Investoren zeigen sich offene Immobilienfonds stabil. Im Segment der Spezialfonds fließt unterm Strich sogar weiterhin Geld in die Produkte. Mit 181 Mrd. Euro haben offene Immobilienspezialfonds laut Bundesbank deutlich mehr Gewicht als die Publikumsvarianten. Die größten Investoren sind Versicherer und Altersvorsorgeeinrichtungen, also langfristig orientierte Geldgeber. Institutionelle Investoren verstünden die Situation von Immobilienfonds und zeigten kein Interesse daran, die Produkte zu Fall zu bringen, sagte auch BaFin-Präsident Branson. Eine schwere Marktphase sei für sie kein Grund, das Geld abzuziehen. "Sie sitzen das aus", sagte er.

Doch die Abflüsse aus Publikumsfonds sind letztlich gering: Im zurückliegenden Jahr flossen bis Ende November brutto lediglich 3,7 Mrd. Euro aus den Fonds heraus – gemessen am gesamten Vermögen zu Jahresbeginn ein moderater Wert von weniger als 3%. Auch Kleinsparer verfügen also über reichlich Sitzfleisch.