LeitartikelLabour und der Brexit

Operation Reset

Keir Starmer sitzt bei der Wiederannäherung an Brüssel einem Irrtum auf. Auch für Labour gibt es dort nichts umsonst.

Operation Reset

Brexit und Labour

Operation Reset

Von Andreas Hippin

Keir Starmer sitzt bei der Wiederannäherung an Brüssel einem Irrtum auf. Für Labour gibt es dort nichts umsonst.

Keir Starmer wird in den kommenden Monaten feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, die Beziehungen zur EU auf eine neue Grundlage zu stellen. Wie sein Außenminister David Lammy entfachte er nach seinem Amtsantritt eine hektische Reisediplomatie. Mit Olaf Scholz hat der britische Premier dabei zwar einen Verbündeten in der Staatengemeinschaft gefunden, doch der deutsche Bundeskanzler ist angezählt.

Um Handelsthemen zu diskutieren, hätte Starmer ohnehin nicht nach Berlin, sondern nach Brüssel reisen müssen. Das umfassende deutsch-britische Abkommen, das die beiden Ende August ankündigten, dürfte solche Fragen aussparen. Das von der deutschen Seite beworbene Jugendmobilitätsprogramm zeigt, wie man sich in Brüssel eine Wiederannäherung vorstellt.

Freizügigkeit light

Es sollte EU-Bürgern unter 30 Jahren das Recht geben, bis zu drei Jahre in Großbritannien zu leben und zu arbeiten. Briten sollten im Gegenzug dieselben Möglichkeiten haben. Kurzum: eine Light-Version der Freizügigkeit im Personenverkehr.  

Der ehemalige Chefunterhändler des Handelsblocks, Michel Barnier, hatte schon Ende Juni klargemacht, dass die EU kein Rosinenpicken dulden werde. Zugang zum gemeinsamen Markt werde es nur geben, wenn die Freizügigkeit wiederhergestellt werde. Nun machte ihn Frankreichs Premier Emmanuel Macron zum Regierungschef. Damit haben sich die Chancen auf den von Starmer erhofften Neuanfang stark verringert.

Reizthema Zuwanderung

Denn die Freizügigkeit hatte zum massenhaften Zuzug von Menschen aus den Armutsregionen der EU geführt, als die britische Wirtschaft boomte. Sie waren bereit, für weniger Geld zu arbeiten als die Einheimischen. Das sorgte für Spannungen. Am Ende votierte 2016 eine Mehrheit der Briten für den Brexit.

Ein Jugendmobilitätsabkommen birgt das Risiko, dass sich die Geschichte wiederholt. Denn die britische Wirtschaft entwickelt sich erneut besser als die der europäischen Nachbarn. Und Zuwanderung ist in Großbritannien ein Reizthema geblieben. Brüssel hat durch das Winken mit dem Abkommen Starmers Bluff aufgedeckt: Es gibt auch für Labour nichts umsonst.

Was hatte sich Starmers Team zuvor nicht alles ausgedacht! Er hatte schon beim Gipfeltreffen mit europäischen Regierungschefs im Juli im Blenheim Palace klargemacht, dass er ein Sicherheitsabkommen mit der EU anstrebt. Über eine möglichst breite Interpretation des Begriffs Sicherheit wollte man immer weitere Bereiche hineinziehen, von der Sicherheit der Energieversorgung über den Klimaschutz bis hin zur Verfügbarkeit strategischer Rohstoffe.

Militärische Dimension

Doch für Brüssel ist vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine vor allem die militärische Dimension des Begriffs von Interesse. Gar kein Interesse hat man dort daran, den mühsam ausgehandelten Deal mit London wieder aufzuschnüren, wenn im kommenden Jahr eine turnusgemäße Überprüfung des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ansteht.

Labour sitzt gleich mehreren Irrtümern auf. Die Probleme mit dem Abkommen gibt es nicht deshalb, weil die Tories unter Boris Johnson auf Konfrontationskurs mit Brüssel gegangen sind. Sie sind Resultat der Bemühungen der EU, den britischen Austritt für potenzielle Nachahmer möglichst unattraktiv erscheinen zu lassen. Doch Großbritannien ist nicht in erster Linie durch den Brexit ärmer geworden, sondern durch die Pandemie.

Gibraltar und Fischereirechte

Anders als die Idealisten von Labour haben Länder wie Frankreich oder Spanien ihren Vorteil klar im Blick. Man wird deshalb wohl auch wieder über Gibraltar sprechen müssen. Und natürlich würde man französischen Fischern Zugang zu britischen Gewässern gewähren müssen. Denn Außenpolitik ist Interessenspolitik. Brüssels Vorgehen ist weitaus nachvollziehbarer als Starmers Versuche, sich dort anzubiedern.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.