LeitartikelEuropäische Union

Opfer der eigenen Regulierung

Die EU neigt zu sehr präzisen regulatorischen Vorgaben. Leider passen diese oftmals entweder nicht mehr in die Zeit, oder sie sind schlecht aufeinander abgestimmt.

Opfer der eigenen Regulierung

Europäische Union

Opfer der eigenen Regulierung

Von Sebastian Schmid

Ein einheitlicher EU-Standard mag oft praktisch wirken, ist aber nicht immer praktikabel.

Die EU trifft mit ihren Regulierungsoffensiven nicht nur auf Gegenliebe. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht eine Industrielobby über ausufernde Regulierungsanforderungen beklagt. Und selbst anfangs beliebte Regulierungsthemen können am Ende wenig Sinn ergeben. Ein Thema, an das 2024 ein Haken gemacht werden kann, dürfte heute weniger Begeisterung auslösen, als bei Günter Verheugens erstem Vorstoß vor 15 Jahren zu erwarten war. Apples iPhone wird demnächst zwar den gleichen Ladeanschluss wie die konkurrierenden Android-Smartphones bekommen. Denn USB-C wird in der EU der Standard für alle neuen Mobiltelefone, Digitalkameras, Kopfhörer, Tabletcomputer, Videospielekonsolen, Keyboards, E-Reader, Navigationsgeräte, Headsets und tragbare Lautsprecher.

Doch was einst ein großer Wurf hätte werden sollen, ist heute allenfalls eine Randnotiz. Denn die Zahl der akkubetriebenen Geräte hat sich vervielfacht. Ein Ladekabel für alles? Davon sind wir weiter entfernt denn je. Rasenmäher, Laubbläser, Bohrmaschine, Staubsauger, Roller, Fahrrad, Auto – fast alles funktioniert mittlerweile batteriebetrieben. Doch der Staubsauger von Dyson, die Bohrmaschine von Bosch, der Laubbläser von Einhell und das Fahrrad von Cube haben allesamt unterschiedliche Ladeoptionen. Den Kabelsalat aus dem Jahr 2008 würde so mancher Verbraucher gerne gegen den Kabelschrank eintauschen, den es heute braucht. Und selbst bei den Produktgruppen, die USB-C anbieten müssen, setzen sich parallel alternative Optionen durch. Der US-Computerkonzern Apple ist mit der jüngsten Notebook-Generation umgeschwenkt und setzt beim Hauptladekabel auf einen eigenen magnetischen Anschluss. Nutzer schätzen es eben, wenn beim Stolpern nur das Ladekabel und nicht der Tausende Euro teure Rechner auf den Boden knallt.

Ein einheitlicher EU-Standard mag oft praktisch wirken, ist aber nicht immer praktikabel. Auch an anderer Stelle droht sich der Wirtschaftsraum mit Regulierungsinitiativen an Nebenthemen aufzureiben. Die EU-Batterieverordnung war lange in Vorbereitung und könnte Anfang 2024 kommen, falls die Mitgliedsländer der Verordnung zustimmen. Auch hier ist gut gemeint nicht gut gemacht. Künftig sollen Batterien von den Verbrauchern ausgetauscht werden können, mehr alte Akkus recycelt werden und die Herkunft der Ressourcen kenntlich gemacht werden. Das ist angesichts der Knappheit von Rohstoffen und des steigenden Bedarfs an Akkus sicher eine sinnvolle Komponente, um Elektrifizierungsziele zu unterstützen.

Bei der Reparierbarkeit gibt es indes zahlreiche Ausnahmen – auch hier, weil die Verbraucher kaum Interesse daran zeigen. Und die Hoffnung, künftig einen Großteil des Bedarfs seltener Ressourcen wie Nickel oder Lithium über Recycling abzudecken, ist vollkommen unrealistisch. Denn derzeit wächst der Bedarf von Jahr zu Jahr rasant. Allein die Batterieproduktion für Elektrofahrzeuge muss in den kommenden Jahren zu einer Vervielfachung der Kapazitäten führen. Anfang des Jahrzehnts lag das Produktionsvolumen in der EU bei 44 Gigawattstunden. 2030 sollen es 1.200 Gigawattstunden sein. Da sollte jedem klar sein, dass die reine Wiederverwertung ausgemusterter Energiespeicher nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sein kann.

Selbst der EU-Rechnungshof hat diese Woche gewarnt, dass das Verfehlen der Klimaziele droht, weil die Produktionskapazitäten im Batteriesektor in Europa womöglich nicht in der Geschwindigkeit wachsen, wie es für den geplanten Hochlauf der Elektromobilität nötig wäre. Neben der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit aufgrund hoher Energiepreise ist auch die Rohstoffverfügbarkeit ein Sorgenthema. Weil Recycling nicht ausreicht, um den Rohstoffbedarf zu decken, bräuchte es starke Lieferbeziehungen. Doch hier hat sich China für die nächsten Dekaden eingedeckt, während europäische Verträge im Schnitt nur wenige Jahre in die Zukunft reichen. Die Erschließung eigener Ressourcen braucht derweil bis in die zweite Hälfte der 2030er Jahre – also über das Verbrenner-Aus hinaus. Am Ende bleibt womöglich nur der Import von Batterien aus Fernost. Ohne ein Umdenken droht der Wirtschaftsstandort Opfer der eigenen Regulierung zu werden.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.