BlickfeldAntigeldwäschebehörde AMLA

Poker um eine Behörde

Bei der Wahl des Standorts für die Antigeldwäschebehörde hat das EU-Parlament erstmals Mitsprache – noch ist unklar, in welcher Form. Deutschland und acht andere EU-Staaten haben den Hut in den Ring geworfen.

Poker um eine Behörde

Poker um eine Behörde

Bei der Wahl des Standorts für die Antigeldwäschebehörde hat das EU-Parlament erstmals Mitsprache – noch ist unklar, in welcher Form

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

Deutschland und acht andere EU-Staaten haben den Hut in den Ring geworfen, um die geplante europäische Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in ihr Land zu holen. Obwohl die Zeit drängt, werden die Anhörungen wohl erst Anfang 2024 stattfinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frankfurt den Zuschlag erhält, ist schwer einschätzbar – zumal noch nicht einmal geklärt ist, in welcher Form sich erstmals das EU-Parlament an der Auswahl beteiligt.

Brüssel erlebt gerade einen Wahlkampf der besonderen Art: Es geht darum, wo die künftige EU-Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung, die Anti-Money-Laundering Authority (AMLA), ihren Sitz haben wird. In großen Lettern werben Iren und Balten am Flughafen und in der Brüsseler Innenstadt für ihre Heimatstandorte. Im Internet übertreffen sich die Regierungen mit Image-Videos über günstige Flugverbindungen in den Bewerberstädten – und im Brüsseler Europaviertel versuchen Minister, im direkten Austausch mit Diplomaten aus anderen EU-Staaten und Europaabgeordneten Stimmen für ihren Heimat-Finanzplatz zu sammeln.

Neun Staaten buhlen um die neue Behörde

Das besondere Engagement ist nachvollziehbar. Erstens geht es um eine der größeren EU-Agenturen. Die AMLA wird nach bisherigen Plänen im Endausbau mit bis zu 400 Beschäftigten viermal so groß sein wie viele andere EU-Einheiten, beispielsweise die EU-Beobachtungsstelle für Drogensucht oder die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Und zweitens kann die Stadt, in der sich die Antigeldwäschebehörde ansiedeln wird, im Wettbewerb der Finanzplätze punkten, denn Banken schätzen kurze Wege zu ihren Aufsichtsämtern.

Neun Staaten haben ihren Hut in den Ring geworfen: Italien für Rom, Frankreich für Paris, Spanien für Madrid, Irland für Dublin, Litauen für Vilnius, Lettland für Riga, Österreich für Wien, Belgien für Brüssel und Deutschland für Frankfurt. Die Einschätzungen, wer die größte Chance hat, den Zuschlag zu gewinnen, gehen auseinander. Das liegt wiederum vor allem daran, dass – auf Grundlage eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs – die Entscheidung über den Sitz nicht mehr im Kreise der Regierungschefs ausgekungelt, sondern das EU-Parlament beteiligt wird. Wie das genau geschehen soll, ist aber noch immer nicht klar.

Finale ab Januar

Eigentlich waren Anhörungen für den Dezember angesetzt. Dass es tatsächlich vor Weihnachten dazu kommt, gilt aber in Brüssel mittlerweile als wenig realistisch. So dürfte das eigentliche Finale im Poker um die EU-Behörde im Januar unter belgischer EU-Ratspräsidentschaft starten.

Mit Blick auf die Bewerbung Madrids weisen Diplomaten und EU-Beamte darauf hin, dass sich Spanien ja gerade auch um den Führungsposten der Europäischen Investitionsbank bemüht. Sollte Wirtschaftsministerin Nadia Calviño zur Nachfolgerin von EIB-Präsident Werner Hoyer gekürt werden, dürften die Aussichten, gleichzeitig auch noch den Zuschlag für die AMLA zu erhalten, gegen null sinken. Die Kandidatur Brüssels gilt als Pflichtmeldung ohne tiefere Ambition, Vilnius und Riga werden allenfalls Außenseiterchancen zugestanden. Blieben als Bewerber, die als aussichtsreich gelten, Wien, Dublin und Rom – sowie Paris und Frankfurt.

Was für und gegen Frankfurt spricht

Der Finanzplatz am Main kann für sich eine Reihe von Pluspunkten verbuchen – vom größten IT-Knoten Europas, da Big Data gerade bei der Geldwäschebekämpfung eine große Rolle spielt, über das europäische Flughafen-Drehkreuz bis hin zu den mehr als 50 internationalen Schulen und natürlich der Nähe zu anderen Aufsichtsbehörden und Standardsetzern wie EZB, EIOPA, BaFin, Bundesbank und ISSB.

Die Tatsache, dass sich EU-Behörden bereits in Frankfurt befinden, schlägt aber auch auf der Negativseite zu Buche, weil in den Vergabekriterien eine ausgewogene Verteilung von EU-Ämtern in allen Mitgliedstaaten vermerkt ist. Ebenfalls als Malus könnte sich erweisen, dass Deutschland in puncto effiziente Geldwäschebekämpfung von der Antigeldwäscheorganisation FATF kein allzu erfreuliches Zeugnis ausgestellt bekommen hat. Dieses Argument kontert die Bundesregierung mit Verweis darauf, dass sie sich ja gerade die FATF-Kritik aktiv zu Herzen genommen hat, beispielsweise durch die Entscheidung, 2024 eine zentrale nationale Behörde einzurichten.

EU-Diplomaten sind zwar überzeugt, dass die AMLA-Bewerbung Frankfurts „alles andere als ein Selbstläufer“ sei. Aber sie räumen der Kandidatur trotzdem Aussichten ein. Denn ganz anders als beim Tauziehen um die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA, deren Amtssitz durch eine Entscheidung im November 2017 von London nach Paris verlegt wurde, agiert die Bundesregierung im Ringen um die künftige Heimat der AMLA nicht zurückhaltend, sondern offensiv und entschlossen. Bundesfinanzminister Christian Lindner flankierte die Abgabe der Bewerbung vor drei Wochen mit einem Auftritt in Brüssel – und der Zusicherung, dass die Behörde mit allem rechnen dürfe, was sie benötige, um zügig zu starten.

Letztlich sei diese Entschlossenheit der nationalen Regierung und zugleich deren Bereitschaft, im Gegenzug Zugeständnisse bei anderen politischen Kontroversen zu machen, der relevante Faktor bei der Auswahl des Standorts, berichtet einer, der seit Jahren EU-Standortentscheidungen aus nächster Nähe begleitet. Die IT- und Verkehrsinfrastruktur oder das Angebot an Schulen und Betreuungsplätzen für die EU-Beamten und ihre Familien seien zwar nicht unerheblich. Letztlich komme es jedoch auf das „Commitment“ von Regierungschefs und Ministern an – und wie sie sich im Vorfeld der Auswahl und in den entscheidenden Verhandlungsrunden verhielten. Bundeskanzler Olaf Scholz werde den EU-Partnern schon noch etwas bieten müssen, heißt es in diplomatischen Kreisen.

Drei Gebäude zur Auswahl

Ein cleverer Schachzug der Bundesregierung ist im aktuellen Verfahren, dass sie einen engen Schulterschluss mit der hessischen Landesregierung und der Stadt Frankfurt demonstriert. Beim Auftritt Lindners in Brüssel wurde er vom hessischen Finanzminister Michael Boddenberg und von Frankfurts Stadträtin Stephanie Wüst begleitet. Sie konnte als Joker drei Bürogebäude präsentieren, die als Standort infrage kommen: der Messeturm, der nur wenige Meter davon entfernte Turm 185 und der Flow-Gebäudekomplex in Gateway Gardens, also unmittelbar neben dem Frankfurter Flughafen. Damit machte die kommunale Vertreterin deutlich, dass die neue EU-Behörde in Frankfurt unverzüglich nach einer Entscheidung mit ihrer Arbeit starten könnte.

Falls sich Rat und EU-Parlament wider Erwarten im Januar, Februar oder März doch nicht auf einen Standort einigen können, droht dem Projekt einer EU-Antigeldwäschebehörde übrigens ein längerer Aufschub. Denn wenn bis Anfang April kein Beschluss vorliegt, wird es kaum mehr möglich sein, das Geldwäsche-Gesetzespaket in dieser Legislaturperiode abzuschließen. Dann wird erst einmal ein neues EU-Parlament gewählt, das sich im August neu konstituiert. Bis anschließend unabgeschlossene Gesetzgebungsverfahren wieder aufgenommen und neue Berichterstatter gewählt worden sind, dürfte sich 2024 bereits dem Ende zuneigen.

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