Politik der Paviane
Paviane töten zuweilen fremden Nachwuchs, um die eigene Dominanz zu sichern. Eine ähnliche Strategie scheint US-Präsident Donald Trump im Wirtschaftskrieg mit der Konkurrenz aus China zu verfolgen. Huawei, die zur weltweiten Nummer 1 der Mobilfunkausrüster aufstieg, hat er in vielen Ländern bereits erfolgreich kaltgestellt. Mit den Apps Tiktok und Wechat der chinesischen Unternehmen Bytedance und Tencent hat er nun die nächsten chinesischen Stars ins Visier genommen. Mit über 300 Millionen Downloads war Tiktok im ersten Quartal die weltweit beliebteste App und schickte sich an, die Vormachtstellung der US-Dienste Instagram, Snap, Youtube und Facebook anzugreifen. Damit soll nun Schluss sein. Entweder sollen die Chinesen ihr Geschäft binnen 45 Tagen einstellen oder sie müssen sich von einem US-Konzern wie Microsoft schlucken lassen, hat Trump klargemacht.Bei Huawei zog das auch gegen Tiktok und Wechat vorgetragene Argument, die nationale Sicherheit schützen zu wollen, noch einigermaßen – schließlich ging es um die Beteiligung der Chinesen am Ausbau der wichtigen Mobilfunkinfrastruktur. Jetzt geht es aber nur um überwiegend privat genutzte soziale Medien. Deshalb mit dem präsidialen Dekret gleich die große Keule auszupacken und die Apps der chinesischen Technologieschwergewichte aus dem Spiel zu nehmen, erscheint übertrieben. Denn die Beweislage im Fall Tiktok ist dünn. Das Unternehmen wird von einem Amerikaner geführt. Kevin Mayer verantwortete das Streaming-Geschäft von Disney, ehe er von Tiktok verpflichtet wurde. Die Server für die App, die 172 Millionen US-Anwender zählt, stehen in den USA und Singapur.Trump droht daher, den nächsten Präzedenzfall zu schaffen, auf den sich China berufen dürfte, wenn von amerikanischer Seite mal wieder auf unfaire Wettbewerbsnachteile im Reich der Mitte hingewiesen wird. Allerdings wäre es falsch, das US-Vorgehen einfach auf Trump zu schieben. In Ton und Stil gibt es Unterschiede. Doch auch das von den oppositionellen Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus hat Gesetze verabschiedet, um die Nutzung der Tiktok-App auf staatlich ausgegebenen Mobiltelefonen zu stoppen. Im Prinzip ziehen die USA also an einem Strang. Zu Recht? Tiktok selbst ist nicht die Hauptquelle des Misstrauens. Für parteiübergreifenden Argwohn sorgt vor allem – wie bei Huawei – ein Gesetz, das Firmen in China auferlegt, mit dem heimischen Geheimdienst zu kooperieren.Es hätte indes andere Optionen gegeben, das Problem zu adressieren. Möglich wäre gewesen, die technischen und regulatorischen Voraussetzungen für den Betrieb einer Social-Media-App in den USA so zu definieren, dass der Verkauf von Tiktok für Bytedance zur besten, wenn auch nicht einzigen Alternative geworden wäre. Stattdessen nährt man das Narrativ, dass jedes Engagement ausländischer Unternehmen in den USA nach Gutdünken beendet werden kann. Das ist das eigentliche Problem an der US-Strategie unter Trump: Der Schutz von privatem Eigentum, verlässliche Rahmenbedingungen für ausländische Investoren und die Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld – das alles gilt offenbar nicht mehr. Wirtschaftspolitische Interessenkonflikte, die es schon immer gab, werden zudem nur noch selten über diplomatische Kanäle ausgetragen. Sie dienen der US-Politik nun oft als Bühne für machtpolitische Selbstinszenierungen. Anzunehmen ist, dass die USA den kalten Wirtschaftskrieg mindestens bis zur Wahl im November weiter anheizen werden, während die Chinesen vorsichtig reagieren dürften, um Trump die erhoffte Eskalation zu verwehren.Nach der Wahl ist die Konfrontation indes kaum vorbei. Einen Kurswechsel dürften auch die Demokraten kaum vornehmen. Und Eskalationspotenzial ist vorhanden: US-Konzerne hatten im Reich der Mitte 2018 kumuliert knapp 270 Mrd. Dollar direkt investiert. Etwa das Doppelte chinesischer Konzerne in den USA. 2019 ist die Diskrepanz weiter gewachsen. Darüber hinaus ist der chinesische Absatzmarkt für Weltkonzerne wie Apple extrem wichtig. Sollte China einen ähnlichen Kurs wie die USA einschlagen, droht das Ende der verlässlichen Welthandelspolitik der vergangenen Jahrzehnte. An ihre Stelle träte eine Politik der Paviane, in der es jeder Weltmacht darum geht, ihre globale Dominanz zu demonstrieren. Europas exportorientierte Unternehmen, für die beide Märkte gleichermaßen wichtig sind, müssen eine Strategie für diese Situation entwickeln, um im Kampf der Alphatiere nicht zerrieben zu werden.——Von Sebastian SchmidUS-Präsident Trump eskaliert im kalten Wirtschaftskrieg mit China zwar an vorderster Front. Auch seine Abwahl würde den Konflikt indes kaum beenden.——