Private Viewing
So ganz langsam nimmt die Fußball-Europameisterschaft Fahrt auf – auch im Büro. Der Anteil der Debatten in der Wochenkonferenz oder beim Webex-Meeting über Abseitsstellungen, Eigentore oder vermeintlich falsche Auswechslungen steigt langsam, aber stetig an. Auch die Zahl der Accessoires in den Farben der Lieblingsmannschaft nimmt zu. Bislang findet diese Form der Identifikation mit der Elftal, den Diables Rouges oder der Squadra Azzurra noch dezent statt. Aber spätestens ab dem Viertelfinale kommen wahrscheinlich wieder Gesichtsfarben ins Spiel.
Gewiss, bei früheren Europa- und Weltmeisterschaften war mehr Begeisterung auf Frankfurts Straßen spürbar. Dieses Mal ist es allein deshalb schon ruhiger, weil sich Public Viewing in Zeiten der Pandemie verbietet. Das bedeutet andererseits aber nicht, dass man im öffentlichen Raum nichts von der EM mitbekommt. Wer etwa, wie die Redakteure der Börsen-Zeitung, im Bahnhofsviertel arbeitet, muss nur sein Fenster öffnen, um mitzubekommen, dass gerade wieder ein Tor gefallen ist – oder irgendwer eine Hundertprozentige vergeigt hat. Zumindest, wenn Teams aus dem Süden Europas beteiligt sind. Zudem hat sich in einer Zeit, in der sich wegen der hitzigen Temperaturen und des Lockdowns der Schankräume noch mehr Gäste in der Open-Air-Gastronomie zu Bier und Cola treffen, die Zahl der Leinwände vor Cafés und Kneipen erhöht. Wer von Sachsenhausen ins Nordend radelt, kann deshalb, wenn er sich von einem Beamer zum nächsten hangelt, alle wichtigen Torszenen eines Spiels erleben.
Schließlich hat der mit der Pandemie einhergehende Digitalisierungsschub auch neue Formen des Private Viewing vorangetrieben. Längst nicht mehr nur techaffine Nerds schauen sich Fußballspiele auf dem Smartphone statt im Fernsehen an – manchmal übrigens auch in der Abteilungskonferenz. Anders jedenfalls ist nicht zu erklären, warum in diesen Tagen mancher Kollege während der Sitzung das Handy quer vor sich hält.
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Eintracht Frankfurt ist übrigens gerade dabei, auf die noch engere Beziehung ihrer Fans zum Smartphone zu reagieren. Mit „mainaqila“ bietet die Eintracht seit jüngstem eine App an, die den Fans nicht nur mitteilt, ob die Österreicher in Frankfurts Mannschaft, Martin Hinteregger und Stefan Ilsanker, noch Chancen auf den Einzug ins Achtelfinale haben. Die App ermöglicht den Anhängern der SGE zudem, im Stadion das Würstchen per Handy zu zahlen – und nicht nur dort. Denn die Eintracht hat in Kooperation mit der Deutschen Bank und Mastercard ein Bezahlsystem aufgesetzt, das nicht allein im Deutsche-Bank-Park (für die Älteren unter uns: im Waldstadion) zum Einsatz kommen kann, sondern weltweit überall, wo Mastercard kontaktlos akzeptiert wird. Über die Fußballnachricht zur digitalen Finanztransaktion – das könnte sich als cleverer Marketing-Schachzug erweisen. Schaun mer mal: Vielleicht hat ja der Satz „Die Eintracht hat ’ne richtig starke Bank“ demnächst eine andere Bedeutung.