Notiert inMoskau

Putin, die künstliche und die natürliche Intelligenz

Nicht nur die Kommunikation zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern ist in russischen Familien fundamental gestört. Auch diejenige innerhalb der Kriegsgegner funktioniert so gar nicht mehr.

Putin, die künstliche und die natürliche Intelligenz

Notiert in Moskau

Die Spaltung des liberalen Lagers

Von Eduard Steiner

Im Leben jenseits des Krieges wird auch in Russland Normalität suggeriert – und dort wie da simuliert. In bester Laune fragte Staatspräsident Wladimir Putin neulich auf einer Konferenz den Chef der landesweit größten Bank, Sberbank, Herman Gref, ob ihn künstliche Intelligenz (KI) auf seinem Posten ersetzen werde. Der 59-jährige Gref, einer der besten Manager des Landes und früher auch Wirtschaftsminister mit klar westlicher Orientierung, war sichtlich verlegen. Ja, die Entwicklung in diese Richtung sei natürlich nicht aufzuhalten, sagte er, wobei er hoffe, dass dies nicht zu seinen Lebzeiten passiere. „Sehen Sie“, sagte Putin scherzend: „Mit solchen Leuten ist ein Fortschritt nicht möglich.“

Tja, mit Putin leider auch nicht. Hat er schon rein wirtschaftlich dem Land seit mindestens zehn Jahren keine Perspektive und nur noch mehr Isolation zu bieten, nachdem er zuvor auf der Welle des hohen Ölpreises als Symbol des Aufschwungs gegolten hatte, so sitzt er inzwischen auch außenpolitisch in der Sackgasse fest. Sie durch eine Revolution von unten zu beenden ist trotz Wirkung der Sanktionen unwahrscheinlich, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Mehrheit der Russen einen geringeren Stellenwert haben als im Westen.

Sollte es zu einem Machtwechsel in Russland kommen, dann – darin sind sich Beobachter einig – durch eine Palastrevolution, weil oben ganz viele die Perspektivenlosigkeit und den Diskomfort, den ihnen der Ukraine-Krieg bereitet, satthaben. Sollte jemand anders das Ruder übernehmen, dann wäre dies in Sachen Ukraine-Krieg ein möglicher Ausweg aus der verfahrenen Situation, weil die Misere Putin allein in die Schuhe geschoben werden könnte. Eine neue Figur würde wenigstens Spielraum gewinnen. Und vielleicht auch die Chance, eine Lockerung der Sanktionen zu erzielen, die jetzt den Zugang zu moderner Technologie und eben auch zu den Grundlagen der künstlichen Intelligenz behindern. Denn die nötigen Chips und anderen Hardware-Instrumente – so merkte es Gref kürzlich an – werden eben nur von einigen Konzernen hergestellt. Die Aufgabe, hier eine Importsubstitution zu erreichen, „ist leider nicht so einfach zu lösen“.

Es war übrigens Gref, der als einer der Top-Vertreter des Wirtschaftsblocks Putin vor dem Krieg und seinen gravierenden Folgen für die Wirtschaft gewarnt hat. Gemeinsam mit Zentralbankchefin Elvira Nabiullina.

Dass sie und andere Vertreter aus dem sogenannten liberalen Lager noch immer in Russland aktiv sind, brachte ihnen seit Kriegsbeginn nicht wenige Vorwürfe vonseiten jener Liberalen ein, die fluchtartig das Land verlassen haben. Die Spaltung des liberalen Lagers ist einer der großen Nebeneffekte des Krieges. Denn nicht nur die Kommunikation zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern ist in russischen Familien fundamental gestört. Auch diejenige innerhalb der Kriegsgegner funktioniert so gar nicht mehr. Redet die eine Seite etwa von der kollektiven Schuld und der Mitverantwortung jedes Einzelnen, beteuert die andere, dass Putin und sein engster Kreis losgelöst vom Volk die Entscheidung für den Krieg getroffen hätten und dass ein Verbleib der Liberalen in Russland und an manch prominenter Stelle des Apparats Schlimmeres verhindern könne.

In einzelnen Episoden spiegelt sich das ganze Dilemma anschaulich. So gab Ende Juli Xenia Judajewa den Posten der stellvertretenden Zentralbankchefin auf. Die brillante Ökonomin, die auch in den USA studiert hat, wird allerdings im Aufsichtsrat bleiben und zur Beraterin ihrer Chefin werden. Dennoch deuten Beobachter in Russland den Schritt als Versuch, noch rechtzeitig eine gewisse Distanzierung herzustellen und das Image zu polieren. Judajewa will die Zentralbank nicht verlassen, da in diesem Falle an ihrer Stelle ein bekannter Hardliner ernannt würde, der die Wirtschaft in eine Katastrophe führen könnte. Zentralbankchefin Nabiullina hat diversen Informationen zufolge seit Kriegsbeginn mehrmals den Hut nehmen wollen. Putin selbst verweigert angeblich die Unterschrift.

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