Qiagen schadet sich selbst
Es sind wilde Zeiten für Qiagen. Seit etwa einem Jahr kommt der größte deutsche Biotechkonzern kaum aus den Schlagzeilen raus. Es begann im Herbst 2019 mit dem teuren Flop eines Hoffnungsträgers und dem abrupten Abgang des langjährigen Vorstandschefs Peer Schatz und endete kürzlich mit der spektakulär gescheiterten Milliardenübernahme durch den weltgrößten Laborausrüster Thermo Fisher Scientific sowie den nachfolgenden Abgang von Aufsichtsratschef Hakan Björklund am vergangenen Freitag.Was bleibt, sind jede Menge Fragen. Da wäre vor allem die nach dem völlig verkorksten Übernahmeversuch durch Thermo Fisher. Die Offerte über knapp 10 Mrd. Euro scheiterte, weil trotz einer Empfehlung des Managements nicht einmal die Hälfte der Anteilseigner sich für das Gebot erwärmen konnte. Die von Aufsichtsrat und Vorstand befürwortete, aber geplatzte Übernahme hat Qiagen nicht nur Managementkapazität und Beraterhonorare, sondern auch noch eine Zahlung von 95 Mill. Dollar an Thermo Fisher gekostet. Diese Kompensation war im Zuge einer zwischenzeitlichen Erhöhung des Angebots vereinbart worden für den Fall, dass die Amerikaner die geforderte Mindestannahmequote von zwei Drittel des Grundkapitals nicht erreichen. Warum der Erfolg der Offerte jedoch in der Verantwortung des Übernommenen liegen soll, bleibt schleierhaft.Erläuterungen und Antworten von Seiten Qiagens gibt es keine. Der Konzern und seine Verantwortlichen sind schon seit Monaten auf Tauchstation. Auch zum Abgang von Chefkontrolleur Björklund hüllt sich das Unternehmen in Schweigen. Nach der Darstellung im Übernahmeprospekt war der Schwede die treibende Kraft bei den Verhandlungen, über ihn liefen die Kontakte zu Thermo Fisher. Doch warum der Aufsichtsrat als Ganzes die fragwürdige Klausel der Kompensation an Thermo Fisher durchgehen ließ, bleibt ein Rätsel.Nach mehr Transparenz sieht es bei Qiagen auch künftig nicht aus. Das Unternehmen schmort weiter im eigenen Saft, wie die jüngsten Personalentscheidungen zeigen. Nachfolger von Björklund wurde Larry Rosen, der seit 2013 dem Aufsichtsrat angehört und damit den bisherigen Kurs mitgetragen hat. Auch der Posten von Peer Schatz wurde intern mit Thierry Bernard besetzt. Frischer personeller Wind, ein Manager oder eine Managerin von außen, die auch für eine andere Kommunikationspolitik stehen könnte, ist nicht in Sicht.Die Schweigsamkeit ist nicht das einzige Governance-Problem von Qiagen. Auch steuerlich fährt der Konzern eine fragwürdige Linie, die nicht erst in Zeiten von durch Corona über die Maßen belasteten Staatshaushalten moralisch angreifbar ist. Auch wenn die Wahl des juristischen Sitzes in den Niederlanden in den 90er Jahren keine steuerlichen Gründe hatte, wie der Konzern behauptet, drückt das die Steuerverpflichtungen heute enorm. Die Steuerquote von Qiagen betrug in den vergangenen zehn Jahren im Durchschnitt berechnet nach den Angaben im Konzernabschluss 9,3 %. Zum Vergleich: Bei BASF waren es im Durchschnitt 22,9 %. Am Qiagen-Konzernsitz in Venlo arbeiten jedoch gerade mal 50 Leute, in der eigentlichen Zentrale in Hilden sind es 1 200.Aktuell ficht das alles Qiagen nicht an. Der Konzern macht gerade ein Riesengeschäft mit den gefragten Reagenzien für Coronatests. Überhaupt gibt es am Geschäftsmodell von Qiagen und der strategischen Logik, wohin sich das Unternehmen entwickelt, wenig zu meckern. Der einstige Probenvorbereiter und Aufreiniger von RNA hat sich zum Molekulardiagnostik-Spezialisten gewandelt, der in die Bioinformatik strebt, um einen weiteren Teil der Wertschöpfungskette abdecken zu können. Der Aktienkurs befindet sich trotz der gescheiterten Übernahme auf Höhenflug.Dennoch schadet sich Qiagen auf längere Sicht selbst. Läuft es mal nicht so rund, bricht sich ein gewisses Misstrauen Bahn. Zu beobachten war das zum Beispiel im vergangenen Jahr, als zunächst der Abgang von Schatz in Kombination mit dem Restrukturierungspaket sowie die zunächst abgebrochenen Übernahmeverhandlungen an Weihnachten für äußerst heftige Kurseinbrüche sorgten.Für einen Dax-Kandidaten, als der Qiagen mittlerweile gehandelt wird, verfolgt das Unternehmen eine bedenkliche Linie in Sachen Governance. Als Aushängeschild in Sachen gute, transparente Unternehmensführung taugt der Biotechkonzern nicht. ——Von Antje KullrichGeschäftsmodell und Strategie von Qiagen überzeugen. Doch der größte deutsche Biotechkonzern hat ein Governance-Problem.——